Die Christen – meistverfolgte und -bedrängte Minderheit weltweit
KNA 28.12.2015
Schlimmer als im Alten Rom?
Die Christen – meistverfolgte und -bedrängte Minderheit weltweit
Von Alexander Brüggemann (KNA)
Bonn/Hamburg (KNA) Christen werden heute schlimmer verfolgt als im Alten Rom - so schreibt Papst Franziskus im Vorwort zu einer neuen Bibelausgabe für Jugendliche. Auf 100 Millionen der rund 2,3 Milliarden Christen weltweit beziffert das evangelikale Hilfswerk Open Doors die Zahl der "Verfolgten". Doch auch die beiden großen Kirchen in Deutschland halten diese Zahl für wenig seriös und nicht überprüfbar. Tragfähige niedrigere Zahlen nennen sie in ihrem "Ökumenischen Bericht zur Religionsfreiheit von Christen weltweit" aber ebensowenig wie das US-Außenministerium in seinem internationalen Jahresbericht zur Religionsfreiheit. Häufig wird formuliert, die Christen seien nicht nur die größte, sondern auch die zahlenmäßig am meisten bedrängte Religionsgruppe weltweit, gefolgt von Muslimen.
Fast drei Viertel der Weltbevölkerung leben nach Angaben des US-Forschungsinstituts Pew Rese-arch Center in Ländern mit religiösen Repressionen; 2011 waren es demnach erst 50 Prozent. In fünf der sieben bevölkerungsreichsten Länder der Welt mit insgesamt 3,3 Milliarden Einwohnern (bei 7,3 Milliarden Menschen weltweit) werden Christen auf die ein oder andere Art wegen ihres Glaubens verfolgt: in China, Indien, Indonesien, Pakistan und Nigeria.
Der weitaus größte Teil von Ländern mit massiver Christenverfolgung hat eine muslimische Bevölkerungsmehrheit. Dazu kommen einige kommunistische, kommunistisch verbrämte oder sonstige Diktaturen in Asien sowie eine stark zunehmende Zahl von Konfliktstaaten in Afrika - wo zudem islamistischer Terror deutlich auf dem Vormarsch ist. Der mit Abstand wichtigste Beweggrund für Christenverfolgung weltweit ist islamischer Extremismus, sei es als Fundamentalismus (Verweigerung von Religionsfreiheit etc.) oder in Form von Gewalt und Terrorismus (IS, Al-Kaida, Taliban, Al-Shabaab, Boko Haram). Zweiter Hauptgrund für Christenverfolgung sind verschiedene Formen von Despotismus, etwa im kommunistischen Nordkorea, in Vietnam oder in China.
Eine exakte Definition und Bezifferung von Verfolgung ist äußerst schwierig, gibt es doch die unter-schiedlichsten Spielarten und Empfindungen von Verfolgung und Verfolgtsein. Am augenfälligsten ist Gewalt: Hinrichtung, Ermordung, Verstümmelung, Geiselnahme, Versklavung. Andere, durchaus wirksame, sind behördlicher oder sozialer Druck, Ächtung in allen Lebensbereichen, Konversions- und Blasphemiegesetze, Ungleichheit vor dem Gesetz, Drohungen, Schock durch Einzeltaten (Pakistan), politische oder berufliche Benachteiligung, Diskriminierung in Schule und Bildung sowie die Beschränkung der Religions- und Kultusfreiheit.
Eine weitere staatliche Praxis sind Gewährenlassen und Straffreiheit, zum Beispiel bei spontanen oder organisierten Mobs (Indien) oder auch in von Drogenkriminalität geplagten Ländern Südamerikas wie Kolumbien oder Mexiko, wo engagierte Christen den Drogenbaronen moralisch im Weg sind. Am einfachsten zu bewerkstelligen scheint Christenverfolgung dort zu sein, wo staatliche Strukturen äußerst schwach (Somalia, Afghanistan, Irak) oder besonders stark ausgebildet sind (Nordkorea, Saudi-Arabien). Im konfliktfreien, aber stark regulierten Singapur gibt es eine staatlich verordnete Religionsfreiheit; Proselytenmacherei ist streng untersagt. Die einzige Gruppe, die zuwiderhandelt und den durch staatlichen Druck erzwungenen religiösen Frieden stört, sind (evangelikale) Christen, die in anderen Vierteln missionieren.
Sehr schwierig ist die Abgrenzung bei blutigen Konflikten, die entlang ethnisch-religiöser Linien verlaufen, so etwa in der Zentralafrikanischen Republik, in Zentralnigeria oder in den Grenzzonen zwischen dem Sudan und dem Südsudan. Im ersten Fall geht es um soziale Hoffnungslosigkeit, im zweiten um Herden und Land, im dritten um Öl. Ein Gegenbeispiel: In Burundi droht ein neuer Völkermord zwischen zwei christlichen Ethnien. Niemand würde aber dort von Christenverfolgung sprechen. Robert Mugabe in Simbabwe oder die Chavisten in Venezuela lassen ihr Volk verelenden; Christen hungern oder werden eingesperrt - ist das auch Christenverfolgung?
Ein in den gängigen Statistiken nicht beachteter, weil nicht messbarer Faktor ist die mittelbare Christenverfolgung. Hier dürfte der westliche Bündnispartner Saudi-Arabien weltweit an der Spitze liegen. Mit Milliarden Dollars haben die Saudis unzählige symbolträchtige Moscheen finanziert und damit das interreligiöse Klima in moderat muslimischen Ländern wie dem Kosovo vergiftet. Und woher kommen Waffen und Material des IS? Konsequent zu Ende gedacht, würde das allerdings auch deutsche, französische und US-amerikanische Rüstungsexporteure zu mittelbaren Christenverfolgern machen.
(KNA - plmmq-89-00012)
Islamismus - Diktaturen - ethnische Konflikte
Länder mit starker Bedrängung von Christen im Überblick
Von Alexander Brüggemann (KNA)
Bonn/Hamburg (KNA) "Christenverfolgung" ist ein häufig benutzter, aber schwer zu fassender, weil inhaltlich wie zahlenmäßig sehr dehnbarer Begriff. Die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) hat in einem Überblick einige Länder zusammengestellt, in denen Christen unter Gewalt durch Anhänger anderer Religionen, unter islamistischem Terrorismus, behördlichen Repressionen und Diskriminierung zu leiden haben.
Nordkorea: Stalinistische Diktatur ohne jede Religionsfreiheit. Langjährige Nummer eins des Weltverfolgungsindex von "Open Doors" als "notorische Verletzer der Religionsfreiheit" (Verhaftung, Folter). Bei einer Gesamtbevölkerung von rund 25 Millionen geht die evangelikale Organisation von 200.000 bis 400.000 (Geheim-)Christen aus; Zehntausende werden in Arbeitslagern vermutet.
Vietnam: Kommunistische Diktatur mit behördlicher Unterdrückung von Meinungs- und Religionsfreiheit. Stark eingeschränkte Kultusfreiheit; zuletzt einige gefühlte Fortschritte. Angesichts einer atheistisch-sozialistischen Prägung und synkretistischer Tendenzen sind Zahlen kaum seriös zu nennen; von den gut 90 Millionen Einwohnern werden 6 bis 7 Millionen als Christen geführt.
China: Laizistische Ein-Parteien-Herrschaft mit Unterdrückung von Meinungs- und Religionsfreiheit. Starker behördlicher Druck (Verhaftungen, Abriss von Kirchen) auf Christen und Meinungsdissidenten; stark eingeschränkte Kultusfreiheit. Religionsschätzungen sind ungenau und zumeist wenig seriös. Von ca. 1,38 Milliarden Einwohnern gelten demnach rund 30 bis 90 Millionen als Christen.
Afghanistan: Islamistischer Terror der Taliban und weitgehende Rechtlosigkeit. Fast 100 Prozent Muslime, nur sehr wenige Christen.
Pakistan: Von den rund 200 Millionen Pakistanern sind mehr als 95 Prozent Muslime verschiedener Konfessionen. Brutale und schlagzeilenträchtige Einzelfälle von Christenverbrennungen, Todesurteilen etc. (Asia Bibi) stehen für eine starke Islamisierung der Gesellschaft. Starker sozialer wie behördlicher Druck; Blasphemie- und Konversionsgesetze sorgen für Angst und Schrecken unter Christen.
Indonesien: Vielvölkerstaat und bevölkerungsreichstes muslimisch geprägtes Land der Erde. Von den derzeit ca. 250 Millionen Einwohnern sind mehr als 85 Prozent Muslime und rund 10 Prozent Christen. Während der Diktaturen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bekam Indonesien ein friedliches Zusammenleben der Religionen ("Pancasila") unter einem moderaten Staatsislam verordnet. In den vergangenen zwei Jahrzehnten zunehmende, schleichende Islamisierung. Der Straftatbestand der "Beleidigung des Islam" bietet Anlass zur Inhaftierung von Christen. Duldung religiöser Gewalt.
Indien: Mit rund 1,3 Milliarden Menschen zweitbevölkerungsreichstes Land und bevölkerungsreichste Demokratie der Welt. Die derzeitige hindu-nationalistische Regierung nimmt den Wahlspruch Indiens "Nur die Wahrheit siegt" ernst; Gewährenlassen und Straflosigkeit bei (spontanen wie auch organisierten) Mobs sind an der Tagesordnung; 2008 kam es zu Pogromen gegen Christen. Laut der Volkszählung 2011 sind 80 Prozent der Inder Hindus, 14 Prozent Muslime und gut 2 Prozent Chris-ten verschiedener Konfessionen. Katholiken haben besonderen Zulauf von den "Dalits", der untersten und sozial geächteten Kaste der "Unberührbaren".
Myanmar: Transformationsprozess nach langjähriger Militärdiktatur. Besserungen bei Meinungs- und Religionsfreiheit. Weiterhin ethnisch-religiöse Verfolgungen in einzelnen Regionen. Von den ca. 52 Millionen Einwohnern sind offiziell ca. 87 Prozent Buddhisten und 5 Prozent (zumeist protestantische) Christen.
Iran: Diktatur des schiitischen Islam ("Gottesstaat") in scheindemokratischem Gewand. Der Islam ist Staatsreligion, keine Religions- und Kultusfreiheit. Bevölkerung ca. 78 Millionen; 99,5 Prozent Muslime, davon bis zu 95 Prozent Schiiten und maximal 10 Prozent Sunniten.
Irak: Vormarsch des IS, Zerfall der staatlichen Strukturen. In vom IS kontrollierten Gebieten (ca. ein Achtel des Staatsgebiets) grausame Massaker und Hinrichtungen, Vertreibung und Ermordung von Minderheiten. Vor 100 Jahren waren noch 25 Prozent der Iraker Christen, heute wohl deutlich weni-ger als 3 Prozent. Zahlenangaben sind unzuverlässig; allein seit dem Sturz Saddam Husseins haben wohl Hunderttausende irakische Christen das Land verlassen. Von rund 33 Millionen Irakern gelten derzeit rund 60 Prozent als Schiiten und etwa 35 Prozent als Sunniten, darunter die meisten Kurden im Norden des Landes.
Syrien: Andauernder Krieg zwischen der Regierung Assad, IS-Milizen und anderen Rebellengrup-pen. In der bevölkerungsarmen, vom IS kontrollierten Osthälfte des Landes Massaker und Hinrich-tungen, Vertreibung und Ermordung von Minderheiten. Auch Regierungstruppen werden Massaker zugeschrieben. Insgesamt unklare Gemengelage, die auch viele Christen zum Verlassen des Landes treibt. Alle Angaben zur Bevölkerungszahl sind unzuverlässig. Von rund 21 Millionen Syrern vor dem Krieg gelten inzwischen 9 Millionen als Flüchtlinge oder Binnenflüchtlinge. Religionskennzahlen: 75 Prozent Sunniten; 12 Prozent Alawiten (Eliten der Hauptstadt inklusive Assad-Clan); 6-10 Prozent Christen unterschiedlichster Konfessionen.
Saudi-Arabien: Der Islam (salafistische Sunniten) ist Staatsreligion; keine Religions- und Kultusfreiheit. Finanzierung des internationalen sunnitischen Terrorismus. Ca. 29 Millionen Einwohner, darunter wenige (ausländische) Christen, etwa als Hauspersonal.
Libyen: Zerfall der staatlichen Strukturen im Bürgerkrieg, weitgehende Recht- und Straflosigkeit. Der Islam ist Staatsreligion (97 Prozent Sunniten); Bevölkerung ca. 6 Millionen, davon ca. 75.000 Katholiken (1,25 Prozent), die allermeisten in der Hauptstadt Tripolis. Offiziell herrscht Religionsfreiheit, aber faktisch auch ein Missionsverbot.
Ägypten: Unter der 2013 gestürzten islamistischen Regierung Mursi starker Druck auf koptische Christen, die (wie auch in den Jahrzehnten unter Diktator Mubarak) im öffentlichen Leben weitgehend diskriminiert wurden und sich still verhielten, um Schlimmeres zu verhindern. Derzeit werden die Karten im Land neu gemischt. Bevölkerung ca. 89 Millionen, davon rund 90 Prozent sunnitische Muslime und je nach Quelle 6 bis 10 Prozent zumeist koptische Christen. Seit dem Arabischen Früh-ling sollen rund 100.000 Kopten das Land verlassen haben.
Eritrea: Repressive Regierung und Dauerkriegszustand; Berichte über staatliche Verfolgungen aller möglicher Arten von Nonkonformismus, auch nicht-traditioneller christlicher Konfessionen. Die Bevölkerung von rund 6 Millionen teilt sich zu etwa gleichen Anteilen in sunnitische Muslime und Christen.
Jemen: Der Islam ist Staatsreligion; knapp zwei Drittel Sunniten, gut ein Drittel Schiiten. Die eigentlich verfassungsmäßige Glaubensfreiheit für die wenigen Nichtmuslime ist stark eingeschränkt. Missionierung ist verboten; Bau von nichtislamischen Gebetshäusern nur mit behördlicher Genehmi-ung; kein passives Wahlrecht für Nichtmuslime. Im Bürgerkrieg zwischen sunnitischen und schiitischen Milizen bleiben Menschenrechte auf der Strecke.
Nigeria: Mit ca. 180 Millionen bevölkerungsreichster Staat Afrikas; davon ca. 50 Prozent Muslime und 40 bis unter 50 Prozent Christen (Verhältnis Protestanten - Katholiken 3:1). Der Staat gewährt volle Religionsfreiheit. Im (muslimisch geprägten) Norden islamistischer Terror gegen Muslime wie Christen, die irgendwie "westlich leben" (Boko Haram), aber auch gezielte Gewalt gegen christliche Ein-richtungen. In der Mittelzone mit Mischbevölkerung wirtschaftliche Konflikte (Nomaden vs. Sesshafte) entlang ethnischer (und religiöser) Linien. In diesem Zuge auch Angriffe auf Kirchengebäude und christliche Dörfer.
Zentralafrikanische Republik: Die Verfassung gewährt volle Religionsfreiheit, doch soziale und wirtschaftliche Konflikte (Arbeitslosigkeit, Frustration, Perspektivlosigkeit) führten zuletzt zu massiver Gewalt entlang ethnisch-religiöser Linien. Die Bevölkerung von ca. 5 Millionen wächst stark. Der Religionszensus ist unzuverlässig: ca. 50 Prozent Christen (Protestanten-Katholiken halbe-halbe); ca. 10 Prozent sunnitische Muslime, stark wachsend.
Kenia: "Aufsteiger" in Sachen Christenverfolgung. Von rund 45 Millionen Bürgern sind über 80 Prozent Christen und rund 10 Prozent sunnitische Muslime. Die islamistische Al-Shabaab-Miliz verübte in den vergangenen Jahren wiederholt blutige Anschläge, unter anderem auf ein Einkaufszentrum. An der Universität Garissa starben 150 vor allem christliche Studenten, die gezielt ausgelesen und erschossen wurden.
Mali: Die Bevölkerung von ca. 15 Millionen besteht aus ca. 90 Prozent sunnitischen Muslimen und zahlenmäßig nur ungenau bestimmten Minderheiten von Christen und Animisten. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts schleichende Islamisierung. Seit dem Einsickern von Islamisten und deren Putsch gemeinsam mit den Tuareg im Norden (2012) Terrorismus, der zuletzt nur leidlich militärisch unterdrückt werden konnte.
(KNA - plmml-89-00037)
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