Islamexperte Rohe: Dialog mit Muslimen kommt erst in Gang
Erlangen (KNA) Anlässlich der letzten Runde der Deutschen Islamkonferenz sieht der Erlanger Islamwissenschaftler Mathias Rohe den Dialog zwischen Staat und islamischen Vertretern erst in der Anfangsphase. In den islamischen Verbänden dominiere ein traditionalistischer Islam, der insbesondere ein konservatives Frauen- und Familienbild vertritt, sagte der Islamwissenschaftler am Mittwoch in einem Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) in Erlangen. Diese Richtung dürfe aber nicht mit der kleinen Gruppe integrationsfeindlicher, gewaltbereiter Islamisten verwechselt werden. Im übrigen befürworte die große Mehrheit der Muslime in Deutschland die westlich-liberale Rechtsordnung.
Der Wissenschaftler gehört der Arbeitsgruppe der Konferenz zu „Religionsfragen im deutschen Verfassungsverständnis“ an. Bei der entscheidenden Frage, wie weit die Religionsfreiheit reicht, müssten alle Seiten Rücksicht nehmen, mahnte er. Die deutsche Rechtsordnung sei jedoch nicht verhandelbar. Tendenzen unter jungen Muslimen, die sich verstärkt dem traditionellen Islam zuwenden, bezeichnete Rohe als „nachvollziehbare Positionsbestimmung“ von Menschen, die Deutschland als ihre Heimat ansähen. Es gebe allerdings „hochsubventionierte“ Bestrebungen, dieses Milieu mit extremistischen Botschaften zu erreichen, etwa aus Saudi-Arabien.
Mit Blick auf die Rechtspraxis in der islamischen Welt sieht Rohe ein starkes Übergewicht streng konservativer Kräfte. „In der Tat sind die reformorientierten Stimmen schwach und weitgehend unter muslimischen Gelehrten im Westen zu hören. An den islamischen Lehrstätten herrschen dagegen oft verkrustete Strukturen“. Dennoch sei eine moderne Interpretation des Koran und anderer Rechtsquellen
möglich. Progressive Vertreter konzentrieren sich demnach auf den „Wesenskern“ der islamischen Offenbarung und sehen die weltlichen Rechtsvorschriften aus dem 7. Jahrhundert lediglich als historisch bedingt an. (KNA - ktkqmo-BD-1454.32TO-1)
„Es bleibt viel Raum für Interpretation“
Rechtsprofessor Rohe über islamisches Recht und Integration
Von Christoph Schmidt (KNA)
Der Erlanger Jura-Professor und Islamwissenschaftler Mathias Rohe gilt als einer der besten westlichen Kenner der islamischen Rechtsordnung. Zuletzt erschien sein Buch über die Scharia mit dem Titel „Das islamische Recht“. In der Deutschen Islamkonferenz gehört er der Arbeitsgruppe zu Verfassungsfragen an. Mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) sprach Rohe über die Rolle der Scharia in der Gegenwart und ihre Bedeutung für die Muslime in Deutschland.
KNA: Herr Professor Rohe, wie groß ist heutzutage der Einfluss der Scharia in der islamischen Welt?
Rohe: Die Anwendung der überlieferten Rechtsnormen ist sehr unterschiedlich. Es existiert eine mehr oder weniger fortentwickelte Form des islamischen Rechts, die teils stark europäisch geprägt ist und in den Kernbereichen wie Familien- und Erbrecht vielfach Verbesserungen insbesondere für Frauen schafft. Insgesamt gibt es aber ein starkes Gefälle. Angefangen von der säkularen Türkei bis zum rigiden Saudi-Arabien.
KNA: Trotz dieser Unterschiede bemängeln Kritiker, dass unter den einflussreichen islamischen Gelehrten fast ausschließlich streng Konservative den Ton angeben. Fehlt die Bereitschaft, den Koran und andere Rechtsquellen historisch-kritisch zu lesen?
Rohe: In der Tat sind die reformorientierten Stimmen schwach und weitgehend unter muslimischen Gelehrten im Westen zu hören. An den islamischen Lehrstätten herrschen dagegen oft verkrustete Strukturen, in denen Traditionalisten auf ihrer Deutungshoheit bestehen. Da geht es zum einen schlicht um den Erhalt der Jobs, zum anderen um die Angst vor einem „kulturimperialistischen“ Übergewicht westlicher Wertemodelle. Nach dem Verständnis dieser Gelehrten hört der Islam auf, islamisch zu sein, wenn man Koran und Sunna, das heißt die Überlieferungen aus dem Leben Mohammeds, nicht wörtlich befolgt.
KNA: Ist eine moderne Interpretation der islamischen Rechtsquellen überhaupt möglich?
Rohe: Ja. Das setzt aber eine dynamische Lesart der Texte voraus, bei der es um den eigentlichen Kern der göttlichen Offenbarung geht, nicht mehr um Einzelvorschriften. Die Reformer sagen: Der Islam hört auf, eine Religion für das Hier und Jetzt zu sein, wenn wir ihn so praktizieren, wie er einer Gesellschaft des 7. Jahrhunderts gepredigt wurde. Damit verstellen wir gerade den Blick auf den Wesenskern der Offenbarung. So gesehen ist man auch dann Muslim, wenn man den religiösen Pflichten und Glaubensgrundsätzen folgt, aber die archaischen Vorschriften des damaligen weltlichen Rechts als zeitbedingt übergeht. Außerdem lassen die Quellen sehr viel Raum für Interpretationen, den sogenannten Idschtihad, der von Gelehrten aller Couleur angewendet wird.
KNA: Wie stehen die Muslime hierzulande zu ihrer religiösen Tradition?
Rohe: Der Großteil fühlt sich in unserem Rechtssystem wohl und hat die gleiche Einstellung zum westlichen Rechtsstaat wie die Mehrheitsgesellschaft. Viele lösen sich mehr und mehr von den Wurzeln ihrer Herkunftsländer, ohne ihre muslimische Identität aufzugeben. Daneben gibt es aber auch zahlreiche Strenggläubige. Sie leben das traditionelle, stark kulturell geprägte Familienbild mit dem teils problematischen Rollenverständnis der Geschlechter. Man darf diese Gruppe aber nicht mit der kleinen Zahl von Islamisten verwechseln, die gewaltbereit und gegen jede Integration sind.
KNA: Halten Sie es dennoch nicht für bedenklich, dass laut Umfragen unter jungen Muslimen traditionalistische Tendenzen zunehmen?
Rohe: Das sind nachvollziehbare Positionsbestimmungen von Menschen, die sich einerseits bewusst geworden sind, dass Deutschland ihr Heimatland ist, andererseits aber gerade deshalb ihren kulturellen Platz in dieser Gesellschaft suchen. In der Tat gibt es hochsubventionierte Bestrebungen, dieses Milieu für den religiösen Extremismus zu gewinnen, etwa aus Saudi-Arabien. Insgesamt haben die Integrationsprobleme junger Leute aber eher mit wirtschaftlichen und sozialen Fragen zu tun, nicht mit der Religion.
KNA: Wie bewerten Sie die bisherigen Ergebnisse der Islamkonferenz?
Rohe: Es hat sich gezeigt: Wir stehen immer noch ganz am Anfang. Der Umgang mit der islamischen Religion ist nun neben die allgemeineren Aspekte von Integrationspolitik getreten. So sind Themen wie Religionsunterricht, Rechte muslimischer Schülerinnen oder Moscheebau immer wichtiger geworden. Die entscheidende Frage ist: Wie weit reicht die Religionsfreiheit? Da sind alle Seiten zur
Rücksichtnahme aufgerufen.
KNA: Besteht die Gefahr, dass diese Toleranz von radikalen Kräften ausgenutzt wird?
Rohe: In den islamischen Organisationen ist der traditionalistische Islam zwar sehr stark. Mir ist aber nicht bekannt, dass dort Kräfte auf eine Änderung unserer Rechtsordnung drängen. Da gäbe es von unserer Seite auch nichts zu verhandeln. Entscheidend ist aber, ob wir künftige Generationen davon überzeugen können, dass unsere Grundrechte, etwa die Gleichrangigkeit der Geschlechter, gerecht
und sinnvoll sind. Diese Überzeugung können wir allerdings nicht mit Gesetzen erzwingen.(KNA - ktkqmo-BD-1019.01VU-1)
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