Erstes Studienwerk für Muslime nimmt Arbeit auf
KNA 16.07.2013
Berlin (KNA) Erstmals gibt es in Deutschland ein eigenes Begabtenförderungswerk für muslimische Studierende. Das "Avicenna-Studienwerk" will die ersten Jungakademiker ab dem Wintersemester 2014/2015 fördern, wie die Verantwortlichen am Dienstag in Berlin mitteilten. Das Bundesbildungsministerium stellt dafür in den kommenden vier Jahren rund sieben Millionen Euro zur Verfügung.
Laut Bildungsministerin Johanna Wanka (CDU) sind aktuell rund drei Prozent der rund 2,5 Millionen Studierenden muslimischen Glaubens. Sie stünden für ein "großes intellektuelles Potenzial", so die Ministerin. Ihre Leistungen sollten künftig noch stärker anerkannt werden. Mit dem neuen Werk werde ferner eine größere Pluralität in der Landschaft der Begabtenförderungswerke geschaffen. Dies sei ihr ein "wichtiges Anliegen", betonte Wanka.
Außer dem "Avicenna-Studienwerk" gibt es in Deutschland zwölf weitere Begabtenförderungswerke, die ebenfalls vom Bundesbildungsministerium unterstützt werden. Dazu zählen neben den Werken der politischen Stiftungen auch das katholische Cusanuswerk, das Evangelische Studienwerk Villigst und das Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerk für jüdische Studierende. Die Kosten etwa für Verwaltung und Seminare übernimmt der jeweilige Träger.
Wie der Avicenna-Vorsitzende Bülent Ucar erklärte, plant das Werk bis zum Jahr 2017 die Vergabe von etwa 400 Stipendien. Im ersten Jahr wolle man mit etwa 50 Stipendiaten beginnen. Bedingung für die Förderung eines Studenten sei neben dessen Begabung auch die Bereitschaft zu gesellschaftlichem Engagement. Das Spektrum sei breit gefächert, so Ucar. Es könne sich beispielsweise sowohl um Nachhilfeunterricht in einer Moscheegemeinde als auch um eine Tätigkeit bei der Freiwilligen Feuerwehr handeln. Dass es sich bei den Stipendiaten um bekennende Muslime handelt, werde erwartet, so der Direktor des Instituts für Islamische Theologie an der Universität Osnabrück. "Wir werden aber keine Fragen zur persönlichen Religionsausübung stellen." Ferner sei geplant, dass auch Nicht-Muslime gefördert würden, wenn sie sich in ihren Arbeiten etwa mit dem interreligiösen Dialog oder Themen beschäftigten, die für Muslime in Deutschland von besonderer Bedeutung seien.
In einem Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) betonte Ucar, dass die künftigen Stipendiaten "nicht nur einen Beitrag für die wissenschaftlich-gesellschaftliche Entwicklung leisten, sondern zugleich eine wichtige Vorbildfunktion für andere muslimische Kinder und Jugendliche einnehmen".
Ähnlich äußerte sich der Vorsitzende der Geschäftsführung der Stiftung Mercator, Bernhard Lorentz. Die Essener Stiftung will das Projekt in den kommenden fünf Jahren mit einer Million Euro unterstützen. Benannt ist das "Avicenna-Studienwerk" nach einem persischen Gelehrten aus dem 11. Jahrhundert. Avicenna gilt als wichtiger Mittler zwischen Orient und Abendland.
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Von Joachim Heinz (KNA)
Berlin (KNA) Es ist ein dickes Brett, das der Osnabrücker Islamwissenschaftler Bülent Ucar gebohrt hat. Entsprechend stolz ist der 36-Jährige auf das Ergebnis, das am Dienstag in Berlin vorgestellt wurde: "Wir haben mit diesem Projekt einen Nerv getroffen." Das "Projekt" hört auf den Namen "Avicenna-Studienwerk" und ist das erste sogenannte Förderungswerk, das künftig begabte muslimische Studenten und Nachwuchswissenschaftler mit Stipendien und einem eigenen Netzwerk unterstützt. Integration führt über Bildung, betont Ucar. Deswegen sei die Initiative ein "großer Schritt" nach vorn. Und längst überfällig angesichts von bis zu 100.000 muslimischen Studenten an Deutschlands Universitäten.
Arbeiten wird das "Avicenna-Studienwerk" nach den gleichen Regeln wie die zwölf anderen bereits bestehenden Werke: Die Anwärter müssen überdurchschnittlich begabt sein und Bereitschaft zu sozialem Engagement zeigen; die Stipendien finanziert das Bundesbildungsministerium, die Verwaltungskosten übernimmt der Träger. Die ersten Jungakademiker will "Avicenna" ab dem Wintersemester 2014/2015 fördern. Rund sieben Millionen Euro stehen dafür in den kommenden vier Jahren zur Verfügung. Bildungsministerin Johanna Wanka (CDU) sieht das als Investition in die Zukunft: Durch die Unterstützung des Förderwerks werde deutlich, "dass gerade in der Pluralität unserer Gesellschaft eine große Chance liegt".
Die Stiftung Mercator kommt zu einem ähnlichen Urteil. Eine Million Euro wollen die Verantwortlichen bis 2018 zuschießen. Auch der Vorsitzende der Geschäftsführung Bernhard Lorentz spricht von einem "wichtigen integrationspolitischen Signal'". Die Essener Stiftung, die sich in vielen weiteren Projekten einer "chancengleichen Teilhabe" von Migranten am deutschen Bildungswesen verschrieben hat, hofft zudem darauf, dass die Stipendiaten zu Vorbildern für andere in der Bundesrepublik lebende Muslime werden. Die Botschaft, für die Ucar und seine Mitstreiter warben, ist offenbar auf fruchtbaren Boden gefallen.
Dafür allerdings, sagt der Osnabrücker Forscher diplomatisch, mussten "viele Gespräche" geführt werden. Auch galt es, die Leitung des neuen Förderungswerks mit angesehenen Vertretern der Zunft zu besetzen. So gehören zum Vorstand außer Ucar selbst unter anderen der Leiter des Tübinger Zentrums für Islamische Theologie, Omar Hamdan, sowie die Berliner Arabistin Angelika Neuwirth. In der Politik sei das Echo durchweg positiv gewesen, betont Ucar. Auch in den anderen Begabtenförderungswerken herrscht erwartungsvolle Neugier auf das dreizehnte Mitglied im Club der Bildungsförderer. "Sehr zu begrüßen" sei die Initiative, weil es nach Werken für Christen und Juden auch ein entsprechende Angebot für Muslime gebe, sagt Ingrid Reul vom katholischen Cusanuswerk. Vielleicht entstünden dadurch sogar neue Möglichkeiten der Kooperation.
Dass es zu Gerangel bei der Vergabe der staatlichen Fördergelder zwischen den Etablierten und dem Neuankömmling kommt, dürfte so gut wie ausgeschlossen sein: Bereits zwischen 1998 und 2012 wurden die Mittel mehr als verdreifacht - ab 2005 unter Wankas Vorgängerin Annette Schavan (CDU), früher auch einmal Geschäftsführerin beim Cusanuswerk. Dessen Öffentlichkeitsreferentin Ingrid Reul findet vor allem die Namenswahl gelungen. Avicenna war ein persischer Gelehrter im 11. Jahrhundert. Und gilt bis auf den heutigen Tag als einer der großen Integrationskräfte, die im Mittelalter Abendland und Orient zusammenführten.
(KNA - nkrlp-89-00090)
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