Bibliotheken in Timbuktu haben weiter Angst um ihre Schätze
KNA 24.05.2013
Manuskripte im Versteck
Bibliotheken in Timbuktu haben weiter Angst um ihre Schätze
Von Katrin Gänsler (KNA)
Timbuktu (KNA) Tagelang hatten die Islamisten im Norden Malis gewütet. Im vergangenen Mai und Juni zerstörten sie uralte Gräber, die zum Weltkulturerbe der UNESCO gehören. Im Januar schließlich versuchten sie, zehntausende Manuskripte zu vernichten. Entgegen ersten Meldungen wurden die allermeisten gerettet. Doch auch jetzt noch sind sie unter Verschluss. Zwar ist die Besatzung der Islamisten vorbei, aber die Angst ist groß, die wertvollen Schätze wieder zu zeigen.
Sidi Lamine Sidi Igoumo sitzt im Flur seines alten Lehmhauses im Zentrum Timbuktus. Die große Holztür ist schwer und reich verziert mit kunstvollen Metall-Ornamenten, wie es typisch ist für die Stadt am Rande der Sahara, die jahrhundertelang Zentrum des afrikanischen Islam war. Sidi Laminie Sidi Igoumo hat alte Schriften vor sich auf dem Boden ausgebreitet. Vorsichtig streicht er über das Papier. "Dieses Buch hier stammt aus dem Jahr 1807. Und das hier ist im Jahr 1800 entstanden", sagt er. Es sind alles Handschriften - verfasst auf Arabisch. "Natürlich sind es Texte über den Islam", erklärt er. "Aber in Timbuktu gibt es auch viele Schriften über die Mathematik, Astronomie und Physik."
Der alte Mann erklärt langsam und ruhig auf Songhay, der am häufigsten in Timbuktu gesprochenen Sprache. Die Bücher erbte er von seinen Eltern. Sie sind Teil einer eigenen Familien-Bibliothek. Wenn er diese einmal nicht mehr wird weiterführen können, wird sein Sohn diese Aufgabe übernehmen. Das ist Tradition in Timbuktu. Manuskripte, die vor Jahrhunderten entstanden, als es in der Stadt mehrere Universitäten und 180 Koran-Gelehrte gab, werden von einer Generation an die nächste gereicht. "Meine Eltern haben mir ein großes Geschenk hinterlassen, ein sehr großes", sagt Sidi Lamine Sidi Igoumo. Er schaut glücklich.
Aber die zehnmonatige Herrschaft der islamistischen Gruppierung Ansar Dine hat ihn verunsichert. Seit diese selbst ernannten "Verfechter des Glaubens" im April 2012 Timbuktu besetzten, fürchtete er um seine Manuskripte. Schließlich hatten die Islamisten einige Heiligengräber zerstört und noch Ende Januar, als schon französische Truppen in der Stadt waren, wertvolle Schriften zu verbrennen versucht. Die Bibliothek Igoumos hatte Glück und wurde verschont. Trotzdem bleibt die Angst. "Heute sind die Manuskripte an einem sicheren Ort", sagt Sidi Lamine Sidi Igoumo. Und sie sollen es bleiben. "Denn vielleicht kommen die Islamisten doch noch zurück."
Schlechter erging es Abdoulaye Cisse ein paar Straßen weiter. Der Interimschef des Instituts Ahmed Baba hockt vor leeren Buchhüllen, die einst Manuskripte enthielten. Noch immer liegen sie wie ein Mahnmal im Eingangsbereich. Laut Cisse zerstörten die Islamisten bei ihrem Feldzug gegen die Bücher in einer einzigen Nacht im Januar 4.203 Schriften. Dass es nicht mehr waren, ist einem Restaurierungsprojekt der südafrikanischen Universität Kapstadt zu verdanken. "Bereits in den Jahren 2011 und 2012 verließen deshalb viele Manuskripte Timbuktu", sagt Cisse. Weitere wurden nach dem Einfall der Islamisten nach Bamako geschmuggelt.
Anfangs, so Cisse, hatten sich die Islamisten nicht für die Manuskripte interessiert. Dass sie zum Schluss doch noch zuschlugen, als der Kampf um Timbuktu praktisch verloren war, hat für ihn nur einen Grund: "Sie wollten uns und die internationale Gemeinschaft treffen." Das schafften sie auch. Innerhalb weniger Stunden ging ein Schrei des Entsetzens um die Welt.
Dass die Islamisten Timbuktu ein zweites Mal erobern, damit rechnet Cisse nicht. "Man weiß das natürlich nie, im Moment halte ich das aber für unwahrscheinlich." Trotzdem gilt auch für ihn: Bis auf weiteres sollen die Manuskripte an einem sicheren Ort bleiben. Denn der Alltag, wie es ihn einst im Timbuktu gab, ist noch lange nicht wieder eingekehrt.
(KNA - nkpmo-89-00050)
Auf unserer Hauptseite finden Sie weitere Informationen zu den Themen interreligiöser Dialog und christlich islamischer Dialog.