Islamisten verbieten Glockenläuten in christlichen Dörfern
KNA 07.06.2013
Von Andrea Krogmann (KNA)
Knayeh/Beirut (KNA) Die Situation für die Christen in Syrien verschlimmert sich nach Aussagen von Franziskanerpater Hanna Jallouf täglich. Im Interview mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) in Beirut berichtet der Pfarrer von Knayeh, 50 Kilometer südwestlich von Aleppo, am Freitag über wachsenden islamistischen Fundamentalismus in der seit einem halben Jahr von bewaffneten Rebellengruppen kontrollierten Bergregion nahe der türkischen Grenze. Mit drei Priestern sind die Franziskaner in dem Einzugsgebiet von vier gemischtkonfessionellen christlichen Dörfern die einzigen verbliebenen Geistlichen.
KNA: Wie ist gegenwärtig die Lage in Ihrer Region Syriens?
Hanna Jallouf: Seit Weihnachten ist die Region, in der unsere vier Pfarreien Knayeh, Jacoubieh, Jdeideh und Ghassanieh liegen, von Rebellen kontrolliert. Jede Nacht bombardiert die syrische Armee die Rebellen, allein in der vergangenen Nacht sind drei Raketen unmittelbar neben unserem Konvent in Knayeh eingeschlagen. Aus Sicht der Armee sind unsere Dörfer Rebellen-Dörfer, aber das stimmt nicht. In unseren Dörfern sind keine bewaffneten Rebellen. Seit etwa sieben Monaten sind wir ohne Wasserversorgung, seit zwei Monaten ohne Licht. Die Straßen in der Region sind ebenfalls seit zwei Monaten blockiert und wir so vom Rest des Landes abgeschnitten.
KNA: Wie ist es Ihnen dann möglich, sich fortzubewegen?
Jallouf: Wir haben eine Absprache mit den Rebellen, die uns bis zur letzten ihrer Straßensperren begleiten. Danach erreichen wir durch die Bergregion die Checkpoints der offiziellen Armee. Die Fahrt nach Beirut dauert so acht statt vorher vier Stunden.
KNA: Werden verbliebenen Christen von den Rebellen bedroht?
Jallouf: Durch die Rebellen sind wir von der Außenwelt abgeschnitten. Hilfslieferungen, die aus der Türkei gekommen sind, wurden von den Rebellen verkauft. Die Armut in der Bevölkerung wächst, weil die Rebellen auch die Ernten und die Vorräte gestohlen haben. Dort, wo ihnen das Geld ausgeht, kommt es zu Diebstählen bis hin zu Stromkabeln sowie zu Entführungen. Christen sind dabei vorrangiges Ziel, wegen des Geldes, aber auch aus religiösen Motiven - wie man bei den beiden entführten Bischöfen sieht. Wer bei uns einen Fehler macht, der zahlt den Preis. Ein junger Mann aus einem unserer Dörfer hat mit der Armee kollaboriert. Die Rebellen haben ihn aufgegriffen und mit sechzig Schüssen hingerichtet. Vorher durfte ich ihm noch die Beichte abnehmen. Seinen Leichnam haben die Rebellen nicht rausgegeben. In zwei unserer Dörfer, Jacoubieh und Jdeideh, haben Fundamentalisten der Jabhat Al-Nusra, der syrischen Version der Al Kaida, die Kontrolle übernommen. Sie verbieten uns das Glockengeläut mit der Begründung, in einem islamischen Dorf dürfe man keine Kirchenglocken hören - nur dass die beiden Dörfer christlich sind.
KNA: Kann unter diesen Umständen das christliche Leben weitergehen?
Jallouf: Die Menschen kommen nach wie vor in die Kirchen, die Gottesdienste finden weiter statt. Allerdings haben alle anderen Geistlichen und Ordensleute außer uns Franziskanerbrüdern und -schwestern die Region verlassen. Das heißt, wir dienen jetzt als Geistliche allen Konfessionen. Zuletzt habe ich in der griechischorthodoxen Gemeinde eine Beerdigung vorgenommen. Um die Särge herzustellen, haben wir das Holz der Weihnachtskrippe genommen, weil kein anderes Holz mehr verfügbar war. Wir Ordensleute versuchen zu helfen, wo es geht, mit Lebensmitteln oder bei der Befreiung von Entführungsopfern. Wir haben alevitische Familien bei uns aufgenommen, die auf dem Weg nach Latakkiyeh Schutz suchten, gegenwärtig leben 52 Sunniten bei uns, deren Häuser zerstört sind. Ein Gebäude haben wir der Organisation "Orient" zur Verfügung gestellt, um dort ein Krankenhaus einzurichten, denn nach der Flucht aller Ärzte aus der Region blieb für die medizinische Versorgung nur noch die Krankenstation der Schwestern - in der in den letzten sieben Monaten 7.500 Menschen versorgt worden sind.
KNA: Und Hilfe von außen?
Jallouf: Christen versuchen, den Christen zu helfen, vor allem über die Kustodie. Die einzige Möglichkeit der Hilfe ist aber derzeit, Geld zu spenden, das von uns oder Mitbrüdern mitgenommen wird. Mit dem Risiko, dass es, wenn diese Geldtransporte bekannt werden, zu Entführungen kommt.
KNA: Ist ein Ende der Gewalt ins Sicht?
Jallouf: Die Zukunft liegt in den Händen Gottes, aber eine baldige Lösung scheint mir schwierig. Wir vor Ort sind zu klein, um etwas auszurichten. Erst, wenn es zu einer politischen Einigung kommt und die Großen in diesem Krieg beschließen, ihn zu beenden, wird er auch beendet werden.
(KNA - nkqkr-89-00010)
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