Kirchenvertreter: Umsturz in Ägypten war nicht anti-islamisch
KNA 04.07.2013
Kairo (KNA) Der Umsturz in Ägypten ist nach Einschätzung des deutschen Theologen Frank van der Velden in Kairo "keine Kampfansage gegen islamische Werte". Die Bevölkerung und das Militär hätten Mohamed Mursi "nicht deswegen abgesetzt, weil er islamische Werte vertritt - deswegen wurde er gewählt -, sondern weil er die wirtschaftlichen und sozialen Probleme des Landes nicht angepackt hat", sagte van der Velden, Mitarbeiter der deutschen katholischen Gemeinde in Kairo, am Donnerstag der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Der koptische Bischof für Deutschland, Anba Damian, sagte der KNA, Christen und "vernünftige Muslime" sollten nun eine neue Verfassung erarbeiten. In ihr müsse Gleichberechtigung aller Bürger festgeschrieben werden.
Van der Velden sagte, mit den Protesten habe eine Politik Schiffbruch erlitten, die Probleme aus einer islamistischen Geisteshaltung heraus habe lösen wollen. Für die Übergangsregierung gehe es darum, ein "Kompetenzteam" aufzustellen. Diesem könnten "auch Muslimbrüder, zur Not auch Salafisten" angehören. Van der Velden verwies darauf, dass sich an den jüngsten Protesten auch fromme Muslime und verschleierte Frauen beteiligten. "Die Leute wollen, dass das Land vorankommt, nicht, dass man über kulturelle und religiöse Fragen diskutiert."
Der Leiter der deutschen katholischen Gemeinde, Joachim Schroedel, nannte es ein gutes Zeichen, dass Verteidigungsminister Abdel Fattah al-Sisi bei seiner Rede zur Entmachtung Mursis vom sunnitischen Großscheich Ahmed Al-Tayyeb und dem koptischen Patriarchen Tawadros II. flankiert war. "Das war ein deutliches Signal: Ägypten gehört zusammen, und es besteht aus Muslimen und Christen", sagte Schroedel, der sich derzeit in Deutschland aufhält. Muslime und Christen seien in den Kundgebungen zusammengerückt. Das Militär habe nur "umgesetzt, was das Volk wollte". Im Blick auf eine künftige politische Rolle der nicht-muslimischen Minderheiten in Ägypten sagte Schroedel, christliche Amtsträger würden sich "nicht in vorderster Linie beteiligen". Auch Patriarch Tawadros II. wolle "keine Politik betreiben". Schroedel äußerte aber die Erwartung, dass an einem neuen Verfassungsprozess auch christliche Laien teilnähmen.
Dem "Münchner Kirchenradio" sagte Schroedel, die Absetzung Mursis sei ein "wichtiges Signal" für jeden künftigen Herrscher Ägyptens. Das ägyptische Volk habe bewiesen, dass es sowohl eine weltliche als auch eine religiöse Diktatur ablehne und, wenn nötig, auch abschaffe. Jetzt müsse die von Mursi "durchgepaukte Verfassung" mit Hilfe aller gesellschaftlichen Kräfte neu geschrieben werden. Die angekündigten Neuwahlen sieht Schroedel ebenfalls positiv. Laut Umfragen lehnten mittlerweile etwa zwei Drittel der Ägypter eine religiöse Regierung der Muslimbrüder ab. Die Präsidentschaft Mursis habe den Muslimbrüdern insgesamt sehr geschadet. Für den Übergang soll Adli Mansur in Ägypten die Regierungsgeschäfte führen, bis ein neuer Staatschef gewählt ist. Erst vor wenigen Tagen war er zum Obersten Richter des Landes ernannt worden.
(KNA - nkrko-89-00061)
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