Christen in Damaskus leben zwischen den Fronten
KNA 18.09.2013
Von Karin Leukefeld (KNA)
Damaskus (KNA) Die herbstliche Septembersonne brennt auf das Pflaster. Neben dem Springbrunnen vor der Zeitoun-Kirche in der Altstadt von Damaskus stehen Autowracks. Am Vorabend waren Geschosse von der Ghuta-Oase auf dem Hof gelandet. Die Seite eines Personenwagens ist durchsiebt, die Scheiben eines Kleinbusses sind zerborsten, Teile der Brunnenumrandung abgesplittert. "Sie versuchen immer wieder, uns in diesen Krieg hineinzuziehen", berichtet George, ein junger Mitarbeiter der katholischen Kirche, bei einem Rundgang. "Aber wir werden nicht zur Waffe greifen, und fortlaufen werden wir auch nicht."
Amtsherr der katholischen Gemeinde ist Gregoire III. Laham, melkitischer Patriarch von Antiochien und dem Ganzen Orient und damit einer der höchsten katholischen Würdenträger im Nahen und Mittleren Osten. Mit dem drohenden US-Angriff der Armee auf Syrien scheinen sich plötzlich die Türen zum Dialog wieder geöffnet zu haben.
Der Patriarch bereitet sich in seinem Arbeitszimmer auf eine Reise nach Genf vor, wo er an diesem Mittwoch gemeinsam mit anderen christlichen Würdenträgern mit UN-Vertretern zusammentrifft. Er zeigt sich optimistisch über die jüngsten Entwicklungen. "Der Aufruf des Papstes für Syrien und das große Friedensgebet in Rom machen mir Hoffnung", sagt er und breitet die Arme aus: "In der ganzen Welt haben Millionen für Frieden in Syrien, im Nahen Osten, in Palästina gebetet; das ist einmalig."
"Wir haben hier sehr schwere Tage erlebt", fährt Gregoire III. fort. Der Fernseher läuft, auf dem Tisch liegen Papierstapel. Immer wieder wird der Patriarch vom Läuten seines Mobiltelefons unterbrochen. Die Menschen, die Kinder: Jede Familie habe in Angst vor einem US-Angriff gelebt. "Wenn Amerika spricht, muss es das ehrlich und verantwortungsvoll tun. Aber die Leute einfach zu bedrohen, das ist unverantwortlich." Ein Mann wie Obama müsse nachdenken - "und er muss beten, bevor er so etwas sagt. Diese Bedrohung ist eine Sünde, und sie ist kriminell", so der Kirchenmann.
Gregoire III. ist ein Mann klarer Worte. Mancher bezeichnet ihn als einen "Regimeanhänger". Der fast 80-Jährige lacht darüber und sagt: "Meine Aufgabe ist es, an der Seite meiner Familie zu sein: aller Syrer." 13.000 Christen seien in Angst vor einem US-Militärschlag an einem Tag in den Libanon geflohen. Nur jeder zweite sei zurückgekommen. Im Land sei Chaos, Menschen würden entführt und getötet, ihre Häuser und Wohnungen würden zerstört: "Wir leben in Angst." Er sei dankbar, dass Europa die Christen in Syrien schützen wolle, so der Patriarch weiter, aber: "Sie können uns am besten schützen, indem sie uns solche Bedrohungen und Krisen ersparen."
Die Stimmung in der Altstadt von Damaskus bleibt gedämpft. Viele Frauen tragen Schwarz; an den Wänden hängen Todesanzeigen. Vor der syrisch-orthodoxen Kirche in der Straße Bab Touma erinnern große Transparente an die beiden entführten Bischöfe Gregorios Yohanna Ibrahim und seinen griechisch-orthodoxen Amtsbruder Bulos (Paul) Yazigi. Seit fünf Monaten hat man nichts von ihnen gehört. "Für euch und für alle Syrer beten wir", steht auf dem Transparent. Auch der UN-Sondervermittler für Syrien, Lakhdar Brahimi, wurde in die Verhandlungen mit den Entführern eingeschaltet - ohne Erfolg.
Brahimis Vertreter in Damaskus ist der Marokkaner Mokhtar Lamani. Er spreche mit allen Konfliktparteien, aber nicht in Istanbul oder sonstwo im Ausland, sondern in Syrien selbst, erklärt er im KNA-Gespräch: "Nur so kann man Vertrauen und Beziehungen zu den Menschen aufbauen." Die Entwicklung beschreibt Lamani als "deprimierend". Die Gesellschaft sei "zutiefst gespalten"; es gebe sehr großes Misstrauen unter den Syrern. Seit er hergekommen sei, habe sich die Lage verschlechtert. Als das Gefährlichste beschreibt Lamani ein wachsendes Sektierertum. Die Syrer selbst seien "keineswegs sektiererisch, Jahrhunderte haben sie miteinander gelebt". Doch Extremismus, massenhaftes Töten und die Zerstörung des Landes wiesen in eine gefährliche Zukunft. "Brücken und Häuser können wieder aufgebaut werden - aber die Beziehungen zwischen den Menschen lassen sich nicht so leicht heilen."
(KNA - nktlr-89-00113)
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