Toleranz in Timbuktu
KNA 10.05.2013
Toleranz in Timbuktu
Christen trauen noch nicht dem neuen Frieden in Malis Norden
Von Katrin Gänsler (KNA)
Timbuktu (KNA) Aufatmen in Timbuktu. Nach dem Ende der Islamisten-Herrschaft muss sich in der weltbekannten Stadt am Rande der Sahara keine Frau mehr verschleiern. Jede, die möchte, kann enge Jeans und kurze T-Shirts tragen. Die Besatzung durch die religiösen Fanatiker ist endlich vor-bei, so empfindet es die Bevölkerung vor Ort. Doch so wie früher wird es nicht mehr sein, befürchtet vor allem die christliche Gemeinschaft in Mali.
Diakite Fatalmoudou Idinane ist Schulleiterin in Timbuktu. Während der Besatzung durch die islamistische Gruppierung Ansar Dine blieb sie in der Stadt und durfte sogar - obwohl eine Frau - weiter arbeiten. Einfach sei das nicht gewesen: "Die Besetzer haben uns klar gesagt, dass die Mädchen überhaupt kein Recht haben, eine Schule zu besuchen." Eine ihrer Schülerinnen sei zwangsverheiratet worden. Doch die Angst, dagegen zu protestieren, war zu groß. Dabei kann in Mali kaum jemand etwas mit einer strengen Auslegung der Religion anfangen. Auch Idinane nicht: "Unser Islam ist tolerant", sagt sie und schiebt demonstrativ ihr Kopftuch zurück.
Nicht erst seit Ende der Besatzung betonen Malis Muslime ihre liberale Einstellung. Mehr als 90 Prozent in dem westafrikanischen Land bekennen sich zum Islam, doch Forderungen etwa nach einer Einführung der Scharia gab es auch vor dem Feldzug der Islamisten nicht ernsthaft. Selbst bekannte Imame und führende Islam-Gelehrte lehnten so etwas öffentlich ab. Die katholische Kirche, deren Mitglieder eine verschwindend kleine Minderheit bilden, lobte oft die guten Beziehungen zwischen den Religionen.
Trotzdem hat die Schreckensherrschaft im Norden Spuren hinterlassen. In Timbuktu weist zwar noch ein verblichenes Schild auf eine Pfingstkirche hin. Doch die Christen haben die Stadt, die einst Zentrum des Trans-Sahara-Handels war, vor über einem Jahr verlassen. Ähnlich ist es in Gao. Laut Joseph Tandem Diarra, Leiter der katholischen Universität Westafrikas in Bamako, haben viele Angst vor einer Rückkehr. "Niemand weiß, wo sich die Islamisten nun verstecken", sagt er. Offiziell gelten Gao und Timbuktu seit Ende Januar durch die französische Militäroffensive als befreit. Anschläge in den vergangenen Wochen haben aber gezeigt, dass radikale Gruppierungen weiter für Angst und Schrecken sorgen können.
Den katholischen Priester Diarra beunruhigt noch eine ganz andere Frage: "Wir wissen nicht, ob sich der Islam durch die Entwicklungen im Norden verändert hat oder noch verändern wird." Im Moment sei es nur ein Gefühl, noch gebe es keine konkreten Beispiele. "Aber uns Christen beschäftigt diese Frage. Sie bereitet uns Angst." Auch deshalb zögerten Christen, zu ihren muslimischen Nachbarn in Timbuktu oder Gao zurückzuziehen.
In Timbuktu sitzt Imam Abdramane Ben Essayouti in seinem Wohnzimmer. Es ist ein großer, mit Teppichen ausgelegter Raum. Am liebsten empfängt er hier seine Besucher - selbstverständlich auch Christen. "Timbuktu ist zwar eine muslimische Stadt", sagt er. "Aber Timbuktu ist auch immer tolerant gewesen." Über Jahrhunderte war die Stadt das Zentrum der islamischen Gelehrsamkeit in Afrika, erzählt der Imam. Timbuktu war muslimisch, aber offen. "Neben 98 oder 99 Prozent muslimischer Einwohner hat es hier selbstverständlich auch Christen gegeben."
In Timbuktu sei eines stärker als die Herrschaft der Islamisten: die Kultur der Toleranz: "Diese haben wir von unseren Vätern und Großvätern übernommen. Sie haben uns gelehrt, andere monotheistische Religionen zu respektieren", sagt Abdramane Ben Essayouti. Das macht ihn auch im Blick auf die geflohenen Christen optimistisch: "Sie bereiten sich schon auf ihre Rückkehr in den Norden vor", sagt er.
(KNA - nkpkt-89-00015)
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