Im Norden Malis ist der Alltag noch lange nicht zurückgekehrt
KNA 26.07.2013
Von Katrin Gänsler (KNA)
Gao (KNA) In Gao, dem Handelszentrum im Norden Malis, sind die Islamisten der Bewegung für Einheit und Dschihad in Westafrika (MUJAO) und die Kämpfer der Befreiungsbewegung von Azawad (MNLA) Vergangenheit. Die französische Armee hat Goa befreit. Doch auch sechs Monate später sind die grausamen Tage noch allgegenwärtig. Für viele Bewohner werden sie ein Leben lang prägen.
Souleymane Abdrahamane steht in einem kleinen Laden, von denen es in Gao unzählige gibt. Er verkauft Softdrinks und Kekse, Papiertaschentücher, Öl zum Kochen und Konserven. Das kleine Geschäft gehört einem Cousin. Seinen eigenen Job hat er im vergangenen Jahr verloren. Er war Straßenhändler und zog mit einem Tisch und einem kleinen Warenangebot durch Gao.
Doch das ist heute nicht mehr möglich. Selbst transportieren kann Abdrahamane nichts mehr. Jetzt muss er auch immer jemanden anrufen, wenn er den Laden verlassen will. Auch Moped fährt er nicht mehr. Er zeigt auf seinen linken Arm und nimmt die Prothese vorsichtig ab. Kurz unterhalb des Ellenbogens endet der Arm. Um den Stumpf hat er einen Socken gewickelt, damit die Prothese keine Druckstellen hinterlässt.
Er kann sich nicht mehr genau erinnern, wie es passierte. Er war mit einem Nachbarkind in der Stadt unterwegs. Vor der ehemaligen Gendarmerie hob das Kind etwas auf. Abdrahamane nahm es ihm ab, und die Granate explodierte. Sein Unterarm wurde abgerissen. Gut 40 solcher Fälle hat die nichtstaatliche Organisation Enda Mali, ein Partner von Caritas international, mittlerweile dokumentiert. Die Enda rechnet mit steigenden Zahlen. Das Problem in Mali sind nicht Minen, sondern Granaten. In Gao sind manche Viertel stärker betroffen als andere; doch theoretisch können die Granaten überall liegen. An den Straßenrändern warnen ein paar Schilder. Alioun Cisse von Enda Mali reicht das nicht. Mit einem Flyer versucht er, "so viele Menschen wie möglich zu erreichen".
Wie heftig Gao zuerst von der MNLA, dann von der MUJAO umkämpft war, sieht man noch allenthalben. Besonders zerschossen ist das Polizeigebäude an der Hauptstraße. Dort hatte die MUJAO ihr Hauptquartier, hielt Gefangene fest und vergewaltigte Frauen.
Schlimmer als die zerstörten Gebäude sind die Erinnerungen. Auch Agaly Nidinkaytane wird sie nicht los. Ihm fehlt sein linkes Bein. Passiert ist es im vergangenen Jahr während des islamischen Opferfestes Tabaski. Nidinkaytane wollte mit Freunden eine Hochzeit feiern. Irgendwann erfuhren die islamistischen Kämpfer der MUJAO davon. Da beschossen sie die Festgesellschaft. Nidinkaytane weiß noch, wie er nach einem Freund rief. Jemand brachte ihn ins Krankenhaus. Für seinen Unterschenkel gab es keine Rettung. Er musste amputiert werden.
Auch Nidinkaytane war, wie Abdrahamane, ein kleiner Einzelhändler und ist nicht mehr imstande, seine Arbeit auszuüben. Geld vom Staat, um sich eine neue Existenz aufzubauen, hat er nicht bekommen. Dabei hat er den Gouverneur Mamadou Adama Diallo sogar einmal selber darauf angesprochen. "Doch der sagte nur: Danach braucht ihr gar nicht erst zu fragen."
Diallos Amtssitz liegt nicht weit entfernt. "Es stimmt, die Fanatiker haben während dieser Krise sehr viel Schaden angerichtet", sagt er. Sein Büro befindet sich in einem umgebauten Wohnhaus, gut in Schuss, die Klimaanlage läuft. Auf die Frage, welche Projekte es für Opfer wie Nidinkaytane und Abdrahamane gibt, weicht er aus. Viele seien schon mit Prothesen versorgt worden, bezahlt von internationalen nichtstaatlichen Organisationen. Weitere Vorschläge seien willkommen, sagt er Gouverneur lapidar.
Agaly Nidinkaytane hat die Hoffnung noch nicht aufgegeben. Gegen die Abendsonne zieht er seine Schirmmütze tiefer ins Gesicht. Auf ihr strahlt Soumaila Cisse, einer der 27 noch verbleibenden Präsidentschaftskandidaten, die sich am Sonntag zur Wahl stellen. "Ich kann mir vorstellen, dass er etwas für die Menschenrechte tut", sagt der junge Mann vorsichtig. Er hofft auf ein Programm, mit dem er sich wieder ein bisschen Zukunft aufbauen kann.
(KNA - nkrmp-89-00131)
Auf unserer Hauptseite finden Sie weitere Informationen zu den Themen interreligiöser Dialog und christlich islamischer Dialog.