In Nigerias Massenentführung raten Religionsvertreter zu Dialog
KNA 30.05.2014
Von Katrin Gänsler (KNA)
Kaduna (KNA) Sie befinden sich seit mittlerweile 45 Tagen in den Händen von Boko Haram, die Schülerinnen von Chibok. Nun könnte Bewegung in den Entführungsfall kommen. Die islamistischen Kidnapper haben offenbar vier der Mädchen freigelassen. Viele Nigerianer werten das als Signal, dass die Regierung weiterhin den Dialog mit der Terrorgruppe suchen sollte.
Vielleicht ist es ein erster Hoffnungsschimmer: Nach Informationen der nigerianischen Online-Zeitung "Premium Times" vom Mittwochabend sollen vier der mehr als 200 Verschleppten wieder auf freiem Fuß sein. Die Zeitung beruft sich auf einen lokalen Politiker aus dem nordostnigerianischen Chibok. Es heißt, die Mädchen seien krank geworden. Dennoch könnte es ein Hinweis sein, dass Boko Haram zu Gesprächen bereit ist.
Die Terrorgruppe will etwas von der Regierung, so viel ist klar: Bereits Mitte Mai forderte ihr Anführer Abubakar Shekau in einer Videobotschaft, alle inhaftierten Mitstreiter zu entlassen; andernfalls würden die Mädchen verkauft und zwangsverheiratet. Auf diese "Erpressung" wollte sich die Regierung nicht einlassen; sie wies das Angebot vehement zurück.
Trotz erneuter Anschläge - am Mittwoch kamen verschiedenen Medienberichten zufolge bei einem Überfall in Gurmushi im Bundesstaat Borno erneut 40 Menschen ums Leben - befürworten weiter viele ein Gespräch mit Boko Haram, so auch Pastor Yohanna Buro. Er leitet in der nordnigerianischen Stadt Kaduna das "Peace Revival and Reconciliation Movement". Seit Jahren engagiert er sich für den christlich-muslimischen Dialog, pflegt in ganz Nordnigeria Kontakte zu Imamen und Islam-Gelehrten. "Boko Haram frisst uns auf", sagt Buro. Kritisch ist er dabei mit der Regierung: "Sie hat nie gezeigt, dass sie sich tatsächlich um dieses Problem kümmert."
Buro glaubt, dass ein direkter Kontakt die Lage ändern würde. "Hinter Boko Haram stehen Menschen. Warum kann sich die Regierung nicht mit ihnen zusammensetzen?" Nach Darstellung des Pastors hat auch die Regierung Vertrauen verspielt. Er verweist darauf, dass 2009 hunderte führende Boko-Haram-Mitglieder, darunter auch Gründer Mohammed Yusuf, kurzerhand erschossen wurden, statt sie vor Gericht zu stellen. Danach radikalisierte sich die Gruppe und zog viele neue Mitglieder an. "Nur weil ein Mensch umgebracht wird, stirbt nicht seine Ideologie", sagt der Pastor.
Skeptisch hingegen ist Imam Sani Isah. Der islamische Geistliche der Waff Road Moschee in Kaduna arbeitet mit Buro zusammen und engagiert sich zudem im "Interfaith Mediation Centre". Es ist Nigerias bekannteste Initiative zum christlich-muslimischen Dialog. Vergangenes Jahr wurde das 1995 gegründete Zentrum mit dem Deutschen Afrika-Preis geehrt. "In der Vergangenheit hat es gute Möglichkeiten gegeben, ins Gespräch zu kommen", sagt Isah. So habe es im Laufe der Jahre es drei Treffen in den Städten Maiduguri, Kano und Kaduna gegeben. Doch die Vertreter, die Boko Haram geschickt habe, seien anschließend umgebracht worden. Erinnerungen daran erschwerten einen Dialog, so der Imam.
Klar ist inzwischen allerdings auch: Eine zügige Befreiungsaktion durch das nigerianische Militär wird es nicht geben. Marschall Alex Badeh erklärte zwar Anfang der Woche in der Hauptstadt Abuja, der Aufenthaltsort der Mädchen sei inzwischen bekannt. Ein Militärschlag bringe aber die verschleppten Schülerinnen in zu große Gefahr.
Auch der Gründer des "Interfaith Mediation Centre", Imam Muhammad Ashafa, lehnt eine Militäraktion ab. Stattdessen müsse man die Beweggründe und Entwicklung der Gruppe verstehen. "Die Mitglieder wurden von Politikern missbraucht." In der Anfangsphase waren die jungen Extremisten als politische Unterstützer willkommen, meint Ashafa. "Doch als sich danach die Staatsgewalt gegen sie richtete, wurden sie wild."
(KNA - okpmt-89-00003)
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