Pegida macht die Politik rat- und hilflos
KNA 16.12.2014
Von Karin Wollschläger (KNA)
Dresden (KNA) Mehrere hundert Menschen kommen in die Dresdener Kreuzkirche zum ökumenischen Friedensgebet. Es ist Montagabend und in der Elbmetropole wird wieder demonstriert. Die Leute in der Kirche gehören zu den Gegendemonstranten. Ihr Protest richtet sich gegen den Demonstranten-Zug, der mit "Wir sind das Volk"-Rufen durch die Innenstadt zieht. 15.000 sind es an diesem Montagabend, die sich der Pegida-Initiative angeschlossen haben und hinter dem Banner "Gewaltfrei und vereint gegen Glaubenskriege auf deutschem Boden" gehen. Ein neuer Rekord nach den 10.000 vom vergangenen Montag. Auf Seiten der Gegendemonstranten sank die Zahl von 9.000 auf 6.500.
Die "Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes" sind von einer Dresdner Minidemonstration innerhalb von zwei Monaten ein deutschlandweites Massenphänomen geworden. Ein Wutbürger-Protest, der spaltet - nicht zuletzt, weil sich weder Teilnehmer noch ihre Motive auf einen Nenner bringen lassen. Dass Rechtsradikale die Ängste instrumentalisierten, ließ nicht wenige Politiker in die Falle tappen, Pegida in Bausch und Bogen zu verurteilen. Bis hin zu NRW-Innenminister Ralf Jägers (SPD) verbaler Entgleisung: "Neonazis in Nadelstreifen".
Tatsächlich stachen bei den ersten Dresdner Pegida-Kundgebungen Ende Oktober Hooligans und Neonazis hervor. Doch inzwischen sind die Radikalen in der Minderheit. Bürger aus ganz Deutschland reisten am Montag nach Dresden; sie sehen in Pegida ein Ventil für ihre Politikverdrossenheit. Mehr als 80 Prozent der Demonstranten, so schätzen Experten, sind "einfache Bürger", die sich sozial benachteiligt und/oder von Politik und Medien unverstanden fühlen. Letzteres ist auch der Grund dafür, dass sie meist Gespräche mit Journalisten verweigern.
Anhand der Transparente lassen sich schlaglichtartig die Protestthemen ablesen: "kriminelle Asylanten", "Blockflötenparteien", "gleichgeschaltete Medien", "Kriegstreiber-Regierung", "Putin hilf", "Frühsexualisierung von Kindern". Das viel beschworene "christliche Abendland" ist dabei kaum mehr als eine Worthülse. Kleinster gemeinsamer Nenner scheinen eine islamkritische Haltung und die Skepsis gegenüber Zuwanderung zu sein. Dabei leben in Sachsen gerade 2,5 Prozent Ausländer, lediglich 0,1 Prozent sind Muslime.
Eine Umfrage von Zeit online ergab, dass mit 49 Prozent knapp die Hälfte der Bundesbürger Verständnis für die Demonstrationen haben. Zudem gaben 73 Prozent an, Sorge zu haben, dass der radikale Islam in Deutschland an Bedeutung gewinnt. 59 Prozent sind der Ansicht, dass die Bundesrepublik zu viele Flüchtlinge aufnimmt. Vor diesem Hintergrund befürchten Politiker einen "Flächenbrand". Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) warnte, in Deutschland sei "kein Platz für Hetze und Verleumdung" von Ausländern und Flüchtlingen. "Deshalb muss jeder aufpassen, dass er nicht von den Initiatoren einer solcher Veranstaltung instrumentalisiert wird."
Der Direktor der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung, Frank Richter, sieht in Pegida einen "ernstzunehmenden Hilferuf bestimmter sozialer Schichten", der ein "Alarmsignal für die Gesellschaft" sein müsse. Er appellierte an die Kirchen, sich als Vermittler angesprochen zu fühlen. Sie seien neutraler als Politik und Medien "und können viel freier agieren als der Staat".
Die Kirchenleitungen reagieren indes bislang zögerlich. Allerdings haben sie schon früh die Vielschichtigkeit des Problems gesehen und vor pauschalen Verurteilungen gewarnt. Zugleich erleben sie etwa in Dresden, wie zerklüftet auch die Gegenprotestanten sind. Auf der Kundgebung am Montagabend kritisierte eine Rednerin jegliches Gesprächsangebot der Landesregierung an die Pegida-Leute als "Unterstützung und Beförderung des Rassismus".
Der Hamburger Weihbischof Hans-Jochen Jaschke, in der Deutschen Bischofskonferenz für interreligiösen Dialog zuständig, warnte vor einem Aufschaukeln der Emotionen. Auch er sieht die katholische Kirche jetzt gefordert, Ängste abzubauen und den Dialog voranzubringen. Wie das konkret in der Praxis aussehen kann, bleibt jedoch offen.
(KNA - olmlp-89-00243)
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