Biser-Stiftung diskutierte über Probleme der Religionspolitik
KNA 26.03.2014
Wenn der Ruf des Muezzin mit dem Lärmschutz kollidiert
Biser-Stiftung diskutierte über Probleme der Religionspolitik
Von Michael Merten (KNA)
München (KNA) Deutschland im Jahr 2014, das ist auch religiös betrachtet eine bunte Nation. Während der Islam den christlichen Kirchen Konkurrenz macht, sind Menschen ohne religiöse Bindung längst zur zahlenmäßig stärksten "Konfession" herangewachsen. In der individualisierten Gesellschaft vermischen sich religiöse Vorstellungen: So glauben etwa zahlreiche Christen an eine Wiedergeburt. "Das hat nichts mit Auferstehung zu tun", erklärte der Münsteraner Sozialwissenschaftler Ulrich Willems.
Er sprach am Dienstagabend in München über "Herausforderungen der deutschen Religionspolitik" bei einer Veranstaltung der Eugen-Biser-Stiftung. Sie fand am Todestag ihres Namensgebers statt. Der international angesehene Religionsphilosoph und Theologe war mit 96 Jahren gestorben. Ende 2002 wurde die Eugen-Biser-Stiftung mit dem Zweck gegründet, sein Werk fortzuführen.
Braucht man eine neue Religionspolitik angesichts der multikulturellen Vielfalt überhaupt noch - kann man das Religiöse nicht einfach ins Private übertragen? Davor warnte Willems. In der Bevölkerung sei die Skepsis gegenüber Muslimen sehr hoch, und es gebe dramatisch geringere Zustimmungsraten zum Bau von Moscheen als etwa in Dänemark, Portugal und Frankreich.
Zudem führten in der modernen, durchgeregelten Gesellschaft religiöse Praktiken zu neuen Konflikten. Da kollidiere der Wunsch nach Schlachtung in Form des rituellen Schächtens mit dem Tier-schutz. Der Gebetsruf des Muezzin verstoße gegen Vorschriften des Lärmschutzes. "Wir haben es mit Konflikten zwischen Prinzipien zu tun", so Willems.
In der deutschen Politik sieht der Wissenschaftler zunehmend pragmatische religionspolitische Ansätze, etwa mit der deutschen Islamkonferenz. In der öffentlichen Debatte dagegen gebe es Tendenzen einer kulturkämpferischen Zuspitzung. Das habe sich in dem Streit um ein Verbot der rituellen Beschneidung von Kleinkindern gezeigt. Hier seien unterschwellig viele Vorurteile über vermeintlich abergläubische und gefährliche Religionspraktiken aufgetreten.
Den Kirchen in Deutschland attestiert Willems einen erheblichen Einfluss auf Staat und Gesellschaft. Die Vormachtstellung christlicher Einrichtungen bei den freien Wohlfahrtsträgern führe heute dazu, dass immer mehr Mitarbeiter Schwierigkeiten wegen der Vorgaben des kirchlichen Arbeitsrechts bekämen.
Michael Bauer sieht nicht nur im Bereich der Wohlfahrtseinrichtungen eine mangelnde Rücksicht auf nichtreligiöse Menschen. Der Vorstand des bayerischen Landesverbands des Humanistischen Verbands Deutschlands (HVD) beklagte eine Ungleichbehandlung religiöser und nichtreligiöser Weltanschauungsgemeinschaften in Bayern. So habe der HVD lange für eine Anerkennung als Schulträger kämpfen müssen.
Damit sprach Bauer einen brisanten Punkt an, denn gerade in bayerischen Schulen kam es immer wieder zu Diskussionen über den Verbleib von Kreuzen in Klassen. Solche Auseinandersetzungen könne man auch vor Ort auf dem Verhandlungsweg klären, unterstrich die religionspolitische Sprecherin der bayerischen Grünen-Landtagsfraktion, Ulrike Gote. Denn: "Wir können in einer religions-politischen Debatte nicht alles gesetzlich regeln."
Um die deutsche Religionspolitik auf eine neue Grundlage zu stellen, regte Willems die Schaffung einer breit aufgestellten Kommission an. Denn die bestehenden, auf die großen christlichen Kirchen ausgerichteten Strukturen müssten angepasst, islamische Verbände müssten als Körperschaften des öffentlichen Rechts anerkannt werden. Das deutsche Modell einer Kooperation zwischen Staat und Kirchen habe sich im Grundsatz bewährt. Daher eigne es sich auch, um andere Religionen wie den Islam und Weltanschauungsgemeinschaften zu integrieren.
(KNA - oknmq-89-00101)
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