Früheres Oberhaupt der Chaldäer Emmanuel III. Delly gestorben
KNA 09.04.2014
Von Burkhard Jürgens (KNA)
Bonn (KNA) Das Gefühl für Beständigkeit musste Patriarch Emmanuel III. Delly von seiner Heimaterde haben. In seinem Heimatstädtchen Tel Kaif, hinter den Handwerkerläden im Ortskern, ragte der Hügel mit dem Friedhof auf, und unter den Gräbern, auf denen im Frühling eine Wiese blühte, ruhten Schicht um Schicht Ruinen aus Epochen. Archäologen fanden eine Bewässerungsanlage des biblischen König Sanherib, Herrscher in Ninive ein paar Kilometer den Tigris abwärts.
Von der Anhöhe sah man Kirchtürme. Tel Kaif ist ein Zentrum der chaldäischen Katholiken. Wenn Emmanuel III. immer wieder betonte, die Christen gehörten zum Irak, sagte er das mit diesem inneren Blick vom Friedhofshügel der Stadt, in der er als Sohn einer Familie von Landwirten geboren wurde. Seitdem ist Tel Kaif gewachsen - und die Christengemeinde geschrumpft. Zu Tausenden wanderten sie aus nach Bagdad, San Diego oder Detroit.
Delly verließ Tel Kaif als Jugendlicher, um Priester zu werden, zuerst nach Mossul, dann nach Rom. An der Päpstlichen Universität Urbaniana schrieb er eine Arbeit über den muslimischen Philosophen Abu Nasr Al-Farabi. Der Dialog zwischen Islam und Christentum wurde zu einem seiner Leitthemen.
Im Frühjahr 1960 kam er an den Patriarchatssitz in Bagdad, und dieser Dienststelle blieb er treu bis zur Pensionierung, mit jener ruhigen Unveränderlichkeit, die er aus Tel Kaif kannte. Dabei war die Arbeit durchaus nicht eintönig: Der damals neue Patriarch Paul II. Cheikho brauchte einen Priester als rechte Hand. In Delly fand er einen sprachgewandten Akademiker mit weltkirchlicher Erfahrung. Cheikho sandte ihn, inzwischen Bischof, zu Konferenzen und Visitationen in die arabischen Nachbarländer und den Rest der Welt. Der Vatikan suchte Dellys Fachkenntnis bei der Revision des Rechtskodex für die Ostkirchen.
Ein reiches Berufsleben ging zu Ende, als Delly im Oktober 2002 mit 75 Jahren seine Ämter niederlegte. Vier Monate später begann der Krieg. In den ersten Tagen der US-Offensive detonierte eine Bombe beim Patriarchatsgebäude. Delly, der dort jetzt als Pensionär lebte, wurde leicht verletzt. Im Juli 2003 verstarb Patriarch Raphael I. Bidawid. Die Invasion war vorüber, Saddam Hussein auf der Flucht, das Land vor einer ungewissen Zukunft und die Kirche führungslos.
In dieser Lage rief Papst Johannes Paul II. die chaldäischen Bischöfe Anfang Dezember nach Rom, um einen neuen Patriarchen zu wählen. Delly zählte nicht zu den Favoriten. Aber es schien jemand vonnöten, der die Kirche des Landes lange und gut kannte, über breite Erfahrung verfügte und natürliche Autorität besaß. Das zeichnete Delly vor allen Jüngeren aus. Sie wählten ihn als Übergangskandidat.
Als solcher leitete Patriarch Emmanuel III. die Kirche mit ihren vielleicht 280.000 Mitgliedern im Irak. Nationale Einheit war ihm wichtig. Wenn die Muslime gute Muslime seien und dem Koran folgten, Christen hingegen gute Christen seien und dem Evangelium folgten, dann gebe es keine Probleme, sagte er einmal. Bei anderer Gelegenheit sprach er auch von einem "Leidensweg" der Christen im Irak. Zu den schwersten Momenten zählte, als er seinen Heimat-Erzbischof Paul Faraj Rahho aus Mossul beerdigen musste. Im Februar 2008 wurde er verschleppt; nach Wochen der Ungewissheit fand man ihn tot.
Delly hatte einen guten Draht zum fast gleichaltrigen Benedikt XVI. Dieser hörte auf ihn, seine Einschätzungen zum islamischen Fundamentalismus und zur Zukunft des interreligiösen Dialogs. 2007 erhob der Papst Delly zum Kardinal; statt des Biretts erhielt er einen purpurroten Schaschtak, die traditionelle chaldäische Kopfbedeckung.
Bei der Kardinalsernennung im Vatikan ließ sich der schmächtige, betagte Mann mit freundlicher Geduld von Jugendlichen seines Landes feiern, berührt von deren Begeisterung, doch auch im Bewusstsein seines schweren Amtes. Im Dezember 2012 durfte er schließlich ein zweites Mal in Pension gehen; Benedikt XVI. nahm sein Rücktrittgesuch an. Seither wurde es stiller um Delly. Am Dienstag ist er 86-jährig in San Diego gestorben, bei den Leuten aus seinem Heimatort Tel Kaif im Exil.
(KNA - okokt-89-00094)
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