Religionspolitik im Hintergrund der Papstreise in die Türkei
KNA 10.11.2014
Von Bettina Dittenberger (KNA)
Istanbul (KNA) Die historischen Bemühungen um eine Überwindung der Kirchenspaltung sowie die aktuellen Krisen in Syrien und im Irak stehen im Mittelpunkt des bevorstehenden Besuches von Papst Franziskus in der Türkei. Nach einem Treffen mit dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan am 28. November in Ankara will der Papst am 29. und 30. November in Istanbul mit dem orthodoxen Patriarchen Bartholomaios I. über die Wiederannäherung zwischen der katholischen und der orthodoxen Kirche sprechen.
Papst und Patriarch wollen im Ökumenischen Patriarchat von Konstantinopel am Goldenen Horn gemeinsam das Andreasfest begehen, das in der orthodoxen Kirche einen besonderen Rang hat: Der Patriarch von Konstantinopel, zugleich Ehrenoberhaupt der Weltorthodoxie, gilt als Nachfolger des Apostels Andreas. Franziskus und Bartholomaios I. wollen zudem eine gemeinsame Erklärung zu den Bemühungen um eine Wiederannäherung rund ein Jahrtausend nach der Kirchenspaltung von 1054 unterzeichnen. Papst und Patriarch haben sich in diesem Jahr bereits im Mai und im Juni getroffen.
Die Gespräche über die kirchliche Wiedervereinigung kommen nur langsam voran. Gründe sind nicht nur fortbestehende Meinungsverschiedenheiten zwischen beiden Kirchen, etwa über die Stellung des Papstes im Gefüge der christlichen Kirchen. Auch Streit innerhalb der orthodoxen Kirche, in der der Rang des Ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel als Erster unter Gleichen insbesondere vom Moskauer Patriarchat angezweifelt wird, sorgen für Verzögerungen. Für 2016 ist eine panorthodoxe Synode geplant, bei der über diese Themen gesprochen werden soll. Bartholomaios I. hat zudem für das Jahr 2025 eine gemeinsame Synode der christlichen Kirchen in Nicäa angekündigt. In diesem Ort, dem heutigen Iznik südlich von Istanbul, soll an das erste Ökumenische Konzil im Jahr 325 erinnert werden.
In seinen drei Besuchstagen in der Türkei wird sich Franziskus freilich nicht ganz auf diesen Annäherungsprozess konzentrieren können. Nach Vatikanangaben ist nicht ausgeschlossen, dass der Papst bei seinem Besuch auch mit Flüchtlingen aus Syrien oder dem Irak spricht, die vor den Kriegen in ihren Ländern in die Türkei geflohen sind. Darunter sind auch Tausende Christen. Insgesamt hat die Türkei rund 1,6 Millionen syrische Flüchtlinge aufgenommen.
Eine besondere Bedrohung geht entlang der türkischen Südgrenze von der Dschihadisten-Miliz "Islamischer Staat" (IS) aus, die in den vergangenen Monaten weite Teile von Syrien und dem Irak erobert hat und rücksichtslos gegen Muslime anderer Konfessionen, Christen und Jesiden vorgeht. Papst Franziskus hat den IS als terroristische Gefahr bisher ungeahnten Ausmaßes bezeichnet; für die türkischen Sicherheitskräfte gilt nicht nur deshalb während seines Besuches Alarmstufe Rot. In türkischen Medien wird gar über einen möglichen Attentatsversuch der Extremisten auf den Papst spekuliert.
Auch die Lage der religiösen Minderheiten in der vorwiegend sunnitischen Türkei dürfte während des Besuches zur Sprache kommen. Derzeit wird vor allem über ein kürzliches Urteil des Straßburger Menschenrechtsgerichtshofes diskutiert, das die Türkei zur Abschaffung des obligatorischen sunnitischen Religionsunterrichts in den Schulen auffordert. Die türkische Regierung hatte das Urteil kritisiert. In Ankara soll Franziskus unter anderen mit dem Chef des staatlichen Religionsamtes, Mehmet Görmez, zusammentreffen. Zudem wird der Papst in der türkischen Hauptstadt der erste Staatsgast in Erdogans neuem Präsidentenpalast sein, der wegen seiner hohen Kosten von rund einer halben Milliarde Euro für Diskussionsstoff sorgt.
In Istanbul will Franziskus auch die Hagia Sophia und die Blaue Moschee besuchen. Er ist nach Paul VI., Johannes Paul II. und Benedikt XVI. der vierte Papst, der in die Türkei reist. Im Vorfeld der Reise von Benedikt XVI. 2006 hatte es erheblichen Streit um den sogenannten Regensburger Vortrag des damaligen Papstes gegeben, die in der islamischen Welt als abschätzig gegenüber dem Islam gewertet worden war.
(KNA - olllk-89-00019)
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