Vor 100 Jahren begann der Völkermord an den Armeniern
KNA 30.12.2014
Von Christoph Arens (KNA)
Bonn (KNA) Es ist eines der dunkelsten Kapitel des Ersten Weltkriegs: der Völkermord an den Armeniern. Bis heute behauptet die türkische Regierung, es habe ihn in dieser Form nie gegeben. Zwar bestreitet sie nicht Hunderttausende Tote. Doch die Gewalt und die Deportationen seien Folge von bürgerkriegsähnlichen Verhältnissen, von Hunger, Seuchen und Not gewesen. 22 Länder und das Europaparlament allerdings haben das Geschehen bislang offiziell als Genozid eingestuft. Der Deutsche Bundestag sprach 2005 lediglich von "Deportationen und Massakern". Der Begriff "Völkermord" wurde dabei nicht im eigentlichen Antragstext, wohl aber in der Begründung verwendet.
Am 24. April 1915 - vor 100 Jahren - begann der Völkermord mit der Verhaftung von 235 armenischen Intellektuellen in Istanbul. Zwischen 1915 und 1917 wurden nach Schätzungen zwischen 300.000 und 1,5 Millionen Armenier ermordet. Die großen Unterschiede bei den Zahlen hängen auch mit den ungenauen Bevölkerungsstatistiken des Osmanischen Reiches zusammen.
Im von Krisen geschüttelten Osmanischen Reich bildeten die Armenier um 1900 eine autonome Gemeinde mit eingeschränkten Rechten. Erfolge in Landwirtschaft, Handwerk und Finanzwesen weckten Neid. Für viele Türken waren die unter westlichem Schutz stehenden Christen Schuld am Siechtum des Reiches. Auch die Konkurrenz zwischen Russland und dem Osmanischen Reich gefährdete die Stellung der Armenier.
Schon Ende des 19. Jahrhunderts kam es zu ersten Pogromen. Allein die Massaker von 1894 bis 1896 hinterließen zwischen 50.000 und 300.000 Tote. Als zwischen 1909 und 1912 auch die Balkanvölker auf Unabhängigkeit vom Osmanischen Reich drängten oder von den Großmächten annektiert wurden, spitzte sich die Situation zu: Die 1908 an die Macht gekommenen Jungtürken zielten auf ein einheitliches türkisches Reich, wollten Türkisch und den Islam als alleinige kulturelle und religiöse Basis durchsetzen.
Der Erste Weltkrieg lieferte die Gelegenheit, dieses Konzept durchzusetzen. Auf Befehl des Innenministeriums wurde die politische und gesellschaftliche Elite der Armenier zu Tausenden verhaftet und meist ohne Prozess hingerichtet. Zehntausende starben auf Todesmärschen in der mesopotamischen Wüste.
Deutschland, damals Kriegsverbündeter der Türkei, schaute stillschweigend zu, war aber genau informiert. Der deutsche Vizekonsul in Erzurum hielt 1915 fest: "Die armenische Frage soll nun im gegenwärtigen Krieg gelöst werden", und zwar "in einer Form, die einer absoluten Ausrottung der Armenier" gleichkomme.
Der Widerstand einer kleinen Gruppe wurde weltweit bekannt und ging in die Literaturgeschichte ein: In seinem Erfolgsroman "Die vierzig Tage des Musa Dagh" schilderte Franz Werfel, wie sich im Herbst 1915 mehrere tausend Armenier am 1.700 Meter hohen Mosesberg verschanzten. Kurz bevor sie aufgeben mussten, wurden sie von einem französischen und einem britischen Kriegsschiff gerettet.
Die Gewalttaten hatten ein Nachspiel, das Rechtsgeschichte schrieb: Nach dem Weltkrieg drängten die westlichen Siegerstaaten erstmals auf Kriegsverbrecherprozesse. Ein türkisch besetztes Kriegsgericht in Istanbul stellte fest, dass die Verbrechen zentral vorbereitet wurden, und verurteilte 17 Angeklagte zum Tode, konnte aber nur 3 Hinrichtungen vollziehen. Die Haupttäter flohen, wurden aber zum Teil von armenischen Attentätern ermordet.
Mittlerweile ist in der türkischen Debatte durchaus Bewegung zu erkennen. Am 99. Jahrestag der Ereignisse am 24. April 2014 ging der damalige türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan zumindest einen kleinen Schritt auf die Armenier zu und bezeichnete es als "eine menschliche Pflicht, auch das Gedenken der Armenier an die Erinnerung an das Leid, das die Armenier zu jener Zeit durchlebt haben, zu verstehen und es mit ihnen zu teilen."
Nach wie vor aber müssen innertürkische Kritiker der offiziellen Sichtweise Strafverfolgung aufgrund des umstrittenen Artikels 301 des Strafgesetzbuches rechnen. Dieser stellt unter anderem eine "Beleidigung der türkischen Nation" unter Strafe.
(KNA - olmkt-89-00152)
Genozid an den Armeniern
Bonn (KNA) Zwischen 1915 und 1918 wurden im damaligen Osmanischen Reich zwischen 300.000 und 1,5 Millionen Armenier ermordet. Während Historiker vom "ersten Völkermord des 20. Jahrhunderts" sprechen und der türkischen Regierung die Verantwortung zuweisen, räumt die Türkei lediglich ein, dass es Massenvertreibungen und gewalttätige Auseinandersetzungen gegeben habe. In deren Folge seien Hunderttausende gestorben.
Hintergrund des Völkermords waren Versuche der 1909 an die Macht gekommenen nationalistischen Jungtürken, ein einheitliches Reich zu schaffen, Türkisch als Einheitssprache und den Islam als alleinige kulturelle und religiöse Basis durchzusetzen. Der Erste Weltkrieg lieferte die Gelegenheit, dieses Konzept durchzusetzen. Nach dem Scheitern der türkischen Offensive gegen Russland im Januar 1915 begann am 24. April die systematische Verfolgung: Zu Tausenden wurde die Elite der Armenier verhaftet und hingerichtet; Zehntausende starben auf Todesmärschen.
Nach dem Ende des Weltkriegs leiteten die westlichen Siegerstaaten Prozesse ein. Ein Istanbuler Kriegsgericht konnte beweisen, dass die Verbrechen zentral vorbereitet wurden. Es verurteilte 17 Angeklagte zum Tode; 3 Hinrichtungen wurden vollzogen. Die Haupttäter flohen, einige wurden später von armenischen Attentätern ermordet.
Mittlerweile haben 22 Staaten den Genozid offiziell anerkannt, darunter Frankreich, Italien und die Niederlande. 1985 erschien der Begriff "Armenian genocide" in einem offiziellen Papier der UNO. Der Deutsche Bundestag sprach 2005 lediglich von "Deportationen und Massakern". Der umstrittene Vorwurf des Völkermordes wurde nicht im eigentlichen Antragstext, wohl aber in der Begründung verwendet.
Hintergrund sind die traditionell engen Beziehungen zur Türkei und die große türkische Bevölkerungsgruppe in der Bundesrepublik. Das Deutsche Kaiserreich war im Ersten Weltkrieg mit dem Osmanischen Reich verbündet; deutsche Generäle waren bei Planung und Durchführung der Aktionen beteiligt.
(KNA - olmkt-89-00150)
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