Die Inselgruppe Mayotte wird ab Januar offiziell Teil der Union
KNA 30.12.2013
Von Markus Schönherr (KNA)
Paris/Mamoudzou (KNA) Ab 1. Januar 2014 reichen die Grenzen der EU bis nach Ostafrika. Zu Neujahr erhält die Inselgruppe Mayotte den Status eines "Gebiets in äußerster Randlage" und zählt damit offiziell zum Territorium der Europäischen Union. Die Meinungen über die Sinnhaftigkeit dieses Unterfanges gehen allerdings auseinander.
Mayotte ist ein tropisches Inselparadies und liegt zwischen Mosambik und Madagaskar vor der Küste Afrikas. Der Euro ist schon lange offizielle Währung des Archipels. Auch nach dem Ende des französischen Kolonialreichs wurde die Region nicht unabhängig - allerdings gewollt. Die Bewohner von Mayotte sahen sich als "französische Übersee-Bevölkerung". In einer Volksbefragung stimmten 2009 mehr als 95 Prozent der Wahlberechtigten dafür, offizielles "Übersee-Department" Frankreichs zu werden.
Der neue Status der Insel unterstreicht nun vor allem Unterschiede zur restlichen EU. Der Präsident der Insel heißt zwar Francois Hollande, doch mehr haben die Mahoren kaum mit ihren französischen Mitbürgern gemein. Laut der britischen BBC beherrscht nur etwa die Hälfte der Bevölkerung die französische Sprache. Auf Mayotte liegt das jährliche Bruttoinlandprodukt pro Einwohner bei 6.500 Euro, der EU-Durchschnitt ist sechsmal höher. Zudem bekennen sich 97 Prozent zum Islam.
Für die Gesetzgebung dürfte dies eine Hürde darstellen: Konnten die Bewohner bisher zwischen muslimischem oder französischem Recht wählen, findet nun auch EU-Recht Anwendung. Über die Polygamie werden junge Mahoren vermutlich nur noch in Geschichtsbüchern lesen, Familienstreitigkeiten werden nicht mehr vor dem islamischen Richter ausgetragen und das Mindestheiratsalter wird auf 18 Jahre angehoben.
Ein bedeutender Teil der französischen Steuerzahler stellt sich die Frage nach dem Sinn der Außengrenzen im Indischen Ozean. Nationalisten sprechen von einer auferlegten "Bürde". Die Regierung argumentiert mit Fischerei- und Handelslizenzen. Jüngst installierte Paris auch Militärstützpunkte auf der Insel.
Auf Mayotte selbst ist man ebenfalls gespaltener Meinung über die Beziehungen zum Heimatland. Für die steigenden Lebenshaltungskosten machten Demonstranten 2011 in Massenkundgebungen das Mutterland verantwortlich. Medienberichten zufolge kam bei gewalttätigen Zusammenstößen mindestens ein Mensch ums Leben.
Auf der anderen Seite entwickelte sich die Insel dank des Einflusses aus Paris zum entwicklungspolitischen Paradies: Seit 1987 gingen etwa 680 Millionen Euro an Förderungen nach Mayotte. 2007 erhielt die Insel 20,5 Millionen Euro für den Umweltschutz und für Sanitärprojekte. "Eine Herausforderung für Mayotte wird darin bestehen, die Vorbereitungen voranzutreiben, die neu verfügbaren EU-Gelder zu verwalten und richtig einzusetzen", so der EU-Kommissar für Regionalpolitik, Johannes Hahn.
Unter den Nachbarn sorgt die Sonderstellung von Mayotte immer wieder für Missstimmung. Obwohl das Archipel nicht auf dem gleichen wirtschaftlichen Niveau wie andere EU-Gebiete liegt, besitzt es im regionalen Vergleich bescheidenen Reichtum. Die umliegenden Inselregierungen dürften daher auch künftig mit einer Mischung aus Neid und Sorge auf das EU-Exil blicken. Dazu zählen beispielsweise die Komoren, zu denen Mayotte geographisch gehört. Auf dieser Inselgruppe grassieren Armut und Unterentwicklung. Wer flüchten kann, tut es.
"Seit Jahrzehnten benutzen Menschen kleine offene Boote, sogenannte "kwassa-kwassa', um von den Komoren auf das wohlhabendere französische Territorium zu gelangen", sagt ein Sprecher des UN-Flüchtlingskommissariats. Vergangenes Jahr starben 69 Menschen bei der riskanten Überfahrt, die je nach Ausgangspunkt weniger als 100 Kilometer beträgt. Insgesamt sollen seit der Unabhängigkeit der Komoren 1975 bislang rund 7.000 Menschen dieses Wagnis eingegangen sein. Die Komoren erheben seit langem Gebietsansprüche auf Mayotte - und wurden dabei auch von der Afrikanischen Union (AU) unterstützt. Mehrmals hatte die AU versucht, Mayotte auf diplomatischem Weg in die Komoren einzugliedern - ohne Erfolg: Der Drang, zu Europa zu gehören, war größer. Die in der Region schwelenden Rivalitäten wird der neue Status der Inselgruppe aber wohl nicht entschärfen.
(KNA - nlmmt-89-00038)
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