Stille Revolution orientalischer Frauen
KNA 06.03.2014
Stille Revolution orientalischer Frauen
ARTE-Doku über einen erstaunlichen Effekt türkischer Seifenopern
Von Heide-Marie Göbbel (KNA)
Straßburg (KNA) Fasziniert verfolgt eine Zuschauerin aus Abu Dhabi eine türkische Seifenoper und staunt, wie sich dort eine muslimische Frau erfolgreich gegen ungerechte Behandlung wehrt. In der Türkei fasst eine Frau, die mit 15 Jahren zwangsverheiratet wurde, nach 30 Ehejahren den Mut, sich wie die Heldin ihrer Lieblingssoap scheiden zu lassen. Und ein Zuschauer aus Athen staunt, wie zärtlich heute türkische Ehemänner mit ihren Frauen umgehen.
Türkische Seifenopern erobern zur Zeit die Herzen von Millionen Zuschauern im Nahen Osten, in Nordafrika, den Balkanstaaten und Asien. Zugleich verändern sie die Beziehungen zwischen Mann und Frau, erzählt die renommierte griechische Filmemacherin Nina Maria Paschalidou.
In ihrer Dokumentation "Kismet - Emanzipation auf Türkisch", die ARTE am Sonntag um 22.15 Uhr ausstrahlt, dokumentiert sie die stille, aber machtvolle Revolution orientalischer Frauen. Diese beginnt nicht auf großen Plätzen, sondern in den Wohnzimmern - und stellt die traditionellen Familienstrukturen mehr und mehr in Frage. Die eindrucksvolle Dokumentation ist Teil des Themen-Schwerpunkts "Starke Frauen", der um 20.15 Uhr auf ARTE mit dem Spielfilm "Frida" beginnt.
Die Seifenoper "Gümüs", so erzählt die Dokumentation, erzählt die Geschichte eines modernen Aschenputtels, das in reiche Istanbuler Kreise einheiratet. Gümüs schafft es gegen alle Widerstände, mit ihrem Mann eine Beziehung auf Augenhöhe zu führen. Die Soap lief seit 2008 unter dem Titel "Nur" im arabischen Raum und wurde dort ein Riesenerfolg.
Die Filmemacherin Maria Paschalidou folgt mit ihrer Kamera auch den Heerscharen von meist aus arabischen Ländern stammenden Touristen, die täglich zum Drehort der Soap in eine Villa am Bosporus pilgern. Sie interviewt die Hauptdarstellerin Songül Öden sowie die beiden Drehbuchauto-rinnen und befragt die Soziologin Hanadi al Jaber aus Abu Dhabi. Diese berichtet, dass "Nur" die Türen zum arabischen Fernsehmarkt weit geöffnet habe und inzwischen von 95 Millionen Zuschauern, Frauen wie Männern, gesehen werde.
In traditionellen Kreisen Arabiens wird der durchschlagende Erfolg der türkischen Seifenopern dagegen weniger gern gesehen, wie Paschalidou zeigt. Die Männer sollten ihren Frauen die "süßlichen Serien über muslimische Frauen, die sich für modern und zivilisiert hielten" nicht erlauben, rät Jasein al Maki, Regierungsbeauftragter für Familienrecht in Abu Dhabi. Die Wirkung sei verheerend. Wer diese Serien sehe, werde es bald bereuen.
Badisaba, die türkische Frau mit zwei Kindern, die mit 15 mit einem gewalttätigen Mann zwangsverheiratet wurde und nach 30 Ehejahren die Scheidung einreichte, sieht die Problematik dagegen ganz anders. Die Serien seien die beste Methode, um die Gesellschaft wachzurütteln, meint sie, und den Frauen eine Vorstellung davon zu geben, wie sie eigentlich sein möchten. Durch die Scheidung will sie ihren Kindern noch ein Leben ohne Gewalt bieten und sie lehren, Frauen nicht ungerecht zu behandeln.
Die mit zahlreichen Preisen geehrte Regisseurin, Journalistin und Produzentin Nina Maria Paschalidou verfügt über eine breite Erfahrung mit Dokumentationen über Gesellschaftsthemen, Krieg und ethnische Minderheiten. In ihrem Film über die Auswirkungen türkischer Soaps lässt sie besonders die Zuschauerinnen zu Wort kommen, aber auch die Fernsehmacher und die Stars. Sie zeigt, dass die türkischen Seifenopern im Gegensatz zu den westlichen das Leben vieler Frauen radikal verändern, weil darin Frauen im Mittelpunkt stehen, die für die traditionellen Familienwerte eintreten und sich dennoch emanzipieren.
Hinweis: „Kismet – Emanzipation auf Türkisch“. Dokumentation von Nina Maria Paschalidou. ARTE, Sonntag 9.3.2014, 22.15 Uhr – 23.15 Uhr.
(KNA - oknkp-89-00169)
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