Überfälle auf entlegene Dörfer nehmen in Nordnigeria massiv zu
KNA 11.04.2014
Von "Silent Killings" zu Massenmorden
Überfälle auf entlegene Dörfer nehmen in Nordnigeria massiv zu
Von Katrin Gänsler (KNA)
Abuja (KNA) Es sind mehr als 200 Menschen gewesen, die allein in der vergangenen Woche in Nord- und Zentralnigeria ihr Leben verloren haben. Grund dafür sind die anhaltenden Ausschreitun-gen zwischen sesshaften Farmern und den Fulani, die mit ihren Rindern auf der Suche nach Weide-gründen durch die Region ziehen. Ihrer Ansicht nach spielt bei dem ganzen Konflikt aber auch das nigerianische Militär eine zwielichtige Rolle.
Nomaden sollen Anfang April ein Dorf überfallen und ein Massaker angerichtet haben. Offizielle Stellen sprechen von gut 100 Toten, lokale Tageszeitungen berichten unter Berufung auf Augenzeugen von mehr als 200 Opfern in der Kommune Maru im Bundesstaat Zamfara. Als Täter werden Hirten vermutet, die zur ethnischen Gruppe der Fulani gehören.
Es ist wohl das grausamste Ereignis in Nigeria in den vergangenen Wochen gewesen, aber längst nicht das einzige. Nur einen Tag zuvor verzeichnete das Dorf Keana in Nasarawa mehr als 30 Todesopfer. Seit Wochen berichten nigerianische Medien fast täglich von Überfällen auf Dörfer. Diese liegen meist weitab von größeren Städten, so dass es keinen ausreichenden Polizeischutz gibt. Mal sind es zehn Tote, mal weit mehr als 100; Tendenz steigend: Nach einem Bericht aus dem Verteidigungsministerium, der vergangene Woche veröffentlicht wurde, kamen von Januar bis März nur im Nordosten Nigerias bei bewaffneten Auseinandersetzungen mehr als 1.500 Menschen ums Leben. Neu sind die Konflikte nicht. Schon in den vergangenen Jahren gab es immer wieder Ausschreitungen zwischen Bauern und den Fulani. Typisch waren dafür die sogenannten "Silent Killings": Ohne viel Aufsehen wurden nachts Menschen ermordet.
Es sei ein "nicht enden wollender Konflikt": So skizzieren mehrere katholische Bischöfe aus dem ebenfalls betroffenen Bundesstaat Benue die Lage. Einerseits wollten die Bauern ihre Felder verteidigen, die ihre einzige Lebensgrundlage bilden; die Fulani seien hingegen immer öfter von Armut und Arbeitslosigkeit betroffen, heißt es in einem jüngsten Schreiben der Bischöfe. Als Konsequenz gründeten die Fulani immer häufiger eigene Siedlungen. Doch genau das verschärfe die angespannte Lage zusätzlich.
Mitunter werden die Auseinandersetzungen als Kampf zwischen Religionen dargestellt: Die Fulani bekennen sich fast ausschließlich zum Islam, während die sesshaften Bauern in Bundesstaaten wie Nasarawa und Benue überwiegend Christen sind. Doch im Kern ist es ein Kampf um Land und den Zugang zu Ressourcen. Diese werden in Afrikas bevölkerungsreichstem Staat immer knapper. 2012 lebten nach staatlichen Schätzungen 166,2 Millionen Menschen in Nigeria; mittlerweile könnten es 170 Millionen sein. 1960 - im Jahr der Unabhängigkeit - zählte das Land lediglich 45,2 Millionen Einwohner. Doch aus dieser Zeit stammen - so betonen Vertreter der Fulani noch heute - Versprechen der ersten Regierung. Die Fulani sollten eigene Weidegründe erhalten, um als Viehhirten überlebensfähig zu sein. Umgesetzt wurden die Zusagen allerdings nie.
Inzwischen sehen manche Fulani sich nicht nur um das Land betrogen, sondern im Fall des überfallenen Dorfs Keana auch noch zu Unrecht als Mörder angeprangert: Nigerianische Medien mutmaßten, hinter dem Anschlag steckten nicht Angehörige des Hirtenvolks, sondern nigerianische Soldaten - eine Art Rache für Angriffe, die zuvor angeblich Fulani verübt haben sollen. Das Militär sagte mittlerweile zu, die Vorfälle zu untersuchen.
(KNA - okoll-89-00108)
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