ARD-Doku zeigt Kontraste und Zerwürfnisse im Nahen Osten

KNA 27.03.2014
"Die Stimme des Volkes hören"
ARD-Doku zeigt Kontraste und Zerwürfnisse im Nahen Osten
Von Michaela Koller (KNA)
München (KNA) "Wir wollten bewusst die Stimme des Volkes hören", erzählt Richard C. Schneider. Der ARD-Korrespondent in Tel Aviv und sein Kollege Jörg Armbruster, der lange für das Erste aus Kairo über die arabische Welt berichtet hat, haben das in der Fernsehdokumentation "Zwischen Hoffnung und Verzweiflung – Der neue Nahe Osten" getan. In der "neuen dramaturgischen Form des Korrespondentendialogs", wie BR-Chefredakteur Sigmund Gottlieb bei der Präsentation in München sagte, führen die Journalisten ihre Zuschauer auf eine Reise durch den Nahen und Mittleren Osten entlang der jahrzehntealten Kontraste und Zerwürfnisse in der Region.
Bei den Recherchen treffen die Korrespondenten auf Marwa Zakaria aus dem nordsyrischen Aleppo: "Es wird keine Sieger mehr geben", lautet schon jetzt ihre Prognose für ihre Heimat. Vor rund zwei Jahren ist sie in die Türkei geflohen. Der Arzt Ammar Zakaria arbeitet noch in Aleppo und weilt immer nur kurz zu Besuch bei seiner Familie. Er setzt sich mit seinem Einsatz der Gefahr aus, selbst durch die Bombardements mit Sprengstoff-Fässern verletzt oder getötet zu werden, die die syrische Armee über Wohngebieten einsetzt. Offen spricht er von der Angst, die der Anflug von Armeehubschraubern auslöst. Es war auch der Arzt Zakaria, der Jörg Armbruster das Leben rettete, als er zu Beginn der Dreharbeiten vor einem Jahr in Aleppo angeschossen und schwer verletzt wurde.
Ein anderer Syrer, ein Flüchtling, weist auf das Dilemma des Bürgerkriegs hin: "Sie bekämpfen unsere Revolution", sagt er über die radikalislamischen Kräfte, die seit Monaten unter den Kämpfern gegen das Assad-Regime dominieren. Für Ziele wie eine Demokratisierung werde kaum noch gekämpft, hingegen für die Errichtung eines Gottesstaates. Durch die Zitate von Menschen, die der Kriegsrealität unmittelbar ausgesetzt sind, wird deutlich: Die in ihrer Heimat verbliebenen Syrer haben nur noch die Wahl zwischen zwei Übeln. So zeigen die Korrespondenten, wie es zu einer der größten Flüchtlingskatastrophen in der Geschichte des Nahen Ostens kommen konnte.
Armbruster und Schneider suchen ihre Gesprächspartner in deren Lebenswirklichkeit: In ihren Wohnungen, Büros oder Hörsälen. Einen Vertreter der radikalen Siedlung Yitzhar trifft Schneider in Samaria, wo auf die religiöse Formung des Nachwuchses großen Wert gelegt wird, in einer Kindertagesstätte. Armbruster unterhält sich am Wohnzimmertisch mit einem Scheich der schiitischen Hisbollah. Es geht um Auszeichnungen für Tapferkeit im Krieg gegen Israel und seinen Sohn, einen Syrienkämpfer.
Die 16-jährige Robah aus dem Gazastreifen wird gefragt, wie viele von 50 ihrer Altersgenossinnen den Niqab, ihren Gesichtsschleier, ablegen würden, wenn sie eine Wahl hätten. Lächelnd antwortet sie auf die Frage: "Fünfzig Schülerinnen." Ein junger Palästinenser, der in einem Flüchtlingslager lebt, sagt zum Krieg in Syrien: "Ich weiß nicht, was die Syrer wollen. Sie hatten doch alles und waren normale Bürger." Er selbst und seine Freunde hingegen hätten kein Land, keine Arbeit, keine Perspektive.
Die Journalisten hören den Akteuren der vielfältigen und vielschichtigen Auseinandersetzungen zu. "Der Film lebt durch die Geschichten, die erzählt werden", sagt SWR-Chefredakteur Michael Zeiss zutreffend. Die Fernsehdokumentation in Spielfilmlänge von 90 Minuten ist straff und temporeich erzählt. Aber sie lässt auch manche Informationen, etwa über die Situation der Christen dort, vermissen.
Die Macher erheben jedoch nicht den Anspruch der Vollständigkeit, sondern verweisen auf ein begleitendes Internetangebot mit Zusatzinformationen und Kommentarfunktion, wo Hintergrundartikel, Karten und Video-Clips zu sehen sind. Bewusst haben sie auf Experteninterviews verzichtet und die Begegnungen mit den Menschen vor Ort selbst in den politisch-historischen Dialog unter Kollegen eingebettet.
Durch den Verzicht auf Analysen aus der Gelehrtenstube gewinnt der Film. Die Korrespondenten sind selbst unmittelbar nah am Geschehen. Das Erste zeigt "Zwischen Hoffnung und Verzweiflung - Der neue Nahe Osten" (BR/SWR) am Montag, 31. März 2014, um 22.45 Uhr.
(KNA - oknmr-89-00090)

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