Wie das Präventionsprojekt "Wegweiser" dem Salafismus begegnet
KNA 20.11.2014
Von Andreas Otto (KNA)
Bonn (KNA) Sie mögen Arif heißen oder Ayasha, Alexander oder Ann-Catrin. Die Jungs tragen plötzlich ein langes Gewand oder lassen sich einen Bart wachsen. Und die Mädchen ziehen sich auf einmal ein Kopftuch an. Nur pubertäre Trotzreaktion oder erste Anzeichen dafür, dass der Nachwuchs in salafistische Kreise abdriftet? Die Sorge von Vätern und Müttern aus muslimischen und nicht muslimischen Familien ist mitunter groß, dass ihre Kinder auf die massiven Anwerbeversuche der Islamisten angesprungen sind.
Die Eltern, aber auch besorgte Lehrer, Trainer oder Freunde, können sich seit wenigen Monaten in der Salafisten-Hochburg Bonn sowie in Bochum und Düsseldorf Hilfe holen. Dort bieten Mitarbeiter des vom NRW-Innenministerium angestoßenen Projekts "Wegweiser" dem alarmierten Umfeld vertrauliche Beratung und vermitteln weitergehende Hilfen. Das Ziel: die Jugendlichen irgendwie von einem Abgleiten in die salafistische Szene abzuhalten. Die Bonner Integrationsbeauftragte Coletta Manemann zieht am Donnerstag eine positive Zwischenbilanz dieser, wie sie sagt, "intensiven Präventionsarbeit".
Am 1. April nahm die Bonner "Wegweiser"-Stelle ihre Arbeit auf, zunächst nur mit Honorarkräften. Inzwischen sind dort zwei Halbtagskräfte tätig: ein Berater mit marokkanischen Wurzeln und eine Mitarbeiterin mit türkischem Hintergrund. "Der Bedarf ist da", betont die Integrationsbeauftragte. Genaue Zahlen, wie viele Menschen Hilfe suchen, mag sie in der Anlaufphase des Projekts nicht nennen. Mal seien es fünf, mal zehn Anfragen pro Woche.
Die Mitarbeiter selbst, die am besten über ihren Alltag berichten könnten, sind bei dem Pressegespräch nicht anwesend. Sie sollen ihre Arbeit in Ruhe und abseits der Öffentlichkeit tun. Dafür gibt aber Manemann erste Einblicke. Meist melden sich Mütter, und davon wieder überwiegend muslimische, bei den beiden "Wegweiser"-Kräften, die in Arabisch, Türkisch oder Deutsch ansprechbar sind. Neben äußerlichen Veränderungen erleben die Eltern etwa, dass ihre Kinder ihnen vorwerfen, "nicht richtig muslimisch" zu sein. Mancher Sohn beteiligt sich mit Eifer an der von Salafisten organisierten Koran-Verteilkampagne "Lies!"
Die Angst unter den Muslimen sei sehr groß, dass ihre Heranwachsenden sich radikalisieren, erläutert Manemann. Die "Wegweiser"-Mitarbeiter mit Erfahrungen in der Jugendarbeit klären erst einmal auf, ob tatsächlich eine Radikalisierungstendenz vorliegt. Oft gebe es familiäre Probleme, weshalb die Jugendlichen Aufmerksamkeit auf sich ziehen wollen. Dann werden die Eltern an die Erziehungsberatung weitervermittelt.
Steckt mehr dahinter, suchen die Mitarbeiter nach den Gründen. Fühlen sich die Jugendlichen diskriminiert, weil sie kein Vorstellungsgespräch bekommen? Machen Sie beim Koran-Büchertisch mit, weil sie dort Anerkennung und Gemeinschaftsgefühl erleben? So unterschiedlich die Fälle, so verschieden sind auch die Hilfsangebote. Wenn möglich und nötig, sprechen die "Wegweiser"-Leute direkt mit den betroffenen Jugendlichen. Um auf ihre individuelle Situation einzugehen, beziehen sie aber auch andere Stellen ein: Moscheevereine, Imame, Schulen oder Jugendzentren.
"Wichtig ist, mit den Jugendlichen im Gespräch zu bleiben", betont Manemann. Und dazu gehöre vor allem Vertraulichkeit. Persönliche Daten würden grundsätzlich nicht weitergegeben. Nur wenn eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben offenbar werde, bestehe eine - zunächst anonyme - Mitteilungspflicht ans Ministerium, das dann über weitergehende Schritte befinde.
Angesichts des Umfangs der Aufgaben regt sich unter den Journalisten Zweifel, ob denn das Personal reicht. Manemann kann diese nicht wirklich auflösen. Aber sie verweist darauf, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) demnächst - wie in vielen anderen deutschen Kommunen auch - in der UN- und Bundesstadt eine "Beratungsstelle Radikalisierung" einrichtet, die ebenfalls auf Anfragen besorgter Angehöriger und Freunde eingehen wird. Dann wird Bonn dafür immerhin zwei Vollzeitstellen haben. "Keine gigantische Zahl", räumt die Integrationsbeauftragte ein.
(KNA - ollmk-89-00158)
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