Die Terrorgruppe besetzt immer weitere Teile des Nordens
KNA 05.11.2014
Von Katrin Gänsler (KNA)
Abuja (KNA) Es galt als verheißungsvolle Nachricht: Endlich wollte die nigerianische Regierung einen Waffenstillstand mit der Terrorgruppe Boko Haram erzielt haben. Auch die Rettung der 219 entführten Mädchen von Chibok stehe kurz bevor - so hörte es sich zumindest in den vergangenen drei Wochen an. Doch von solchem verhaltenen Optimismus ist nun nichts mehr übrig geblieben, im Gegenteil: Zehntausende Menschen sind auf der Flucht, weil Boko Haram immer weitere Gebiete im Norden erobert. Gegenwehr gibt es längst nicht mehr.
Der stellvertretende Gouverneur von Borno, Zanna Mustapha, schlägt Alarm. "Wenn nicht schnell etwas geschieht, dann gehören die drei Bundesstaaten Borno, Yobe und Adamawa bald der Vergangenheit an", sagte er in Yola, der Hauptstadt des Staates Adamawa. Dort besuchte er zu Wochenbeginn Binnenflüchtlinge aus dem krisengebeutelten Borno.
Viele tausend von ihnen leben mittlerweile im südlichen Nachbarbundesstaat. Doch auch dieser weiß nicht mehr wohin mit den sogenannten IDPs (Internally Displaced People), nachdem Boko Haram in der vergangenen Woche die Stadt Mubi sowie die angrenzende Region besetzte. Von dort heißt es mittlerweile, Mubi solle künftig "Madinatul Islam" (Stadt des Islam) genannt werden. In nigerianischen Zeitungen berichten Augenzeugen zudem, dass Boko Haram dort das islamische Strafrecht, die Scharia, einführe wolle. Wer kann, versuche die Stadt irgendwie zu verlassen. Preise für Bustickets hätten sich verdreifacht.
In der vergangenen Woche wurden allein an zwei Tagen mehr als 10.000 neue Binnenflüchtlinge registriert. Die staatliche Nothilfeagentur NEMA geht davon aus, dass bereits mehr als 675.000 Nigerianer ihre Heimatdörfer im Nordosten verlassen haben. Beobachter sprechen von noch weitaus höheren Zahlen. Nach wie vor kommen viele bei Familienmitgliedern unter oder mieten, etwa in der Hauptstadt Abuja, Zimmer an. Weitere haben in den Nachbarländern Niger und Kamerun Zuflucht gefunden.
Die Flüchtlingszahlen könnten schnell weiter steigen, wenn sich die düstere Prognose von Gouverneur Mustapha bewahrheitet. Falls sich die Regierung in Abuja nicht mehr anstrengt im Kampf gegen Boko Haram, könnten die drei am meisten betroffenen Bundesstaaten binnen drei Monaten besetzt sein. Schon heute werden zehn Landkreise von den Terroristen kontrolliert. Weitere könnten bald folgen, denn auch angrenzende Bundesstaaten sind zunehmend betroffen.
So wurde einem Bericht der nigerianischen Tageszeitung "The Sun" zufolge am Dienstag die Stadt Nafada im Bundesstaat Gombe überfallen. Zu den Todesopfern gehöre womöglich auch ein Islamgelehrter. Augenzeugenberichten zufolge soll er gemeinsam mit zehn weiteren Männern erschossen worden sein. Es ist der zweite Angriff in Gombe binnen einer Woche. Am Mittwochnachmittag kündigte die Regierung eine Schließung aller staatlichen und privaten Schulen an.
Bekannt hat sich bislang niemand zu den Taten. Doch es gilt als äußert wahrscheinlich, dass Boko Haram dafür verantwortlich ist. Dennoch könnte es offenbar weiter Versuche eines Dialogs mit der Terrororganisation geben, sagten führende nigerianische Politiker am Dienstagabend nach einem Treffen. Dieses war bereits vor knapp drei Wochen angekündigt worden, ebenso wie ein Waffenstillstandsabkommen sowie die baldige Freilassung der 219 Mädchen von Chibok, die nun schon seit Mitte April in der Gewalt der Gruppe sind. Die Aussicht auf Letzteres wurde nun jedoch von Regierungsseite dementiert; Boko Haram hatte das bereits am Wochenende getan.
In den vergangenen Jahren hat es immer wieder Spekulationen über Gespräche und mögliche Friedensabkommen mit der 2002 gegründeten Gruppe gegeben. Echte Erfolge gab es bislang nicht.
(KNA - ollkp-89-00116)
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