Güzelmansur: „Mehr Selbstkritik und Modernisierung der Muslime gefordert"
Radio Vatikan 11.09.2014
Timo Güzelmansur ist als Direktor der Christlich-islamischen Begegnungs- und Dokumentationsstelle (Arbeitsstelle der Deutschen Bischofskonferenz) in Deutschland ein Spezialist, wenn es um die Beziehung und auch die Konflikte der Christen und Muslime geht. Er sieht, dass die Abgrenzung zu IS für alle Muslime eine Herausforderung ist, denn die Terroristen werben damit, den richtigen Islam zu vertreten, und er propagiert eine „Modernisierung des Islams“ und eine neue Selbstkritik der Muslime.
Viele wichtige Islamvertreter äußern sich, viele aber auch nicht. Der Präfekt der Ostkirchenkongregation Kardinal Leonardo Sandri lobte nun in Washington den Großmufti von Saudi-Arabien und den Großmufti der ägyptischen Al-Azhar Universität in Kairo, da sie beide IS verurteilen. Müssten alle islamischen Vertreter IS verurteilen? Denken Sie, es wird genug getan? Sind manche vielleicht nur halbherzig?
„Meines Erachtens ist es ein erster sehr wichtiger Schritt, dass vor allem wichtige einflussreiche muslimische religiöse Führer in islamischen Staaten sich davon distanzieren. Wir müssen aber im Fall des Großmufti von Saudi-Arabien aufhorchen, wenn er so etwas sagt. Denn wir haben noch im Kopf vor zwei Jahren, Anfang 2012, hat das gleiche Amt eine Fatwa erlassen, ein religiöses Gutachten, dass auf der arabischen Halbinsel keine Kirchen gebaut werden dürfen und die bestehenden zerstört werden sollten. Und wenn das gleiche Amt heute so eine Erklärung abgibt, dann müssen wir uns fragen: Wie glaubwürdig ist so eine Erklärung? Wenn wir nach Saudi-Arabien schauen, sehen wir, dass dort keine Religionsfreiheit herrscht und keine andere Lesart des Islam zugelassen wird als der Wahhabismus, also eine strenge Auslegung des Koran, und andere islamische Konfessionen werden nicht zugelassen."
Aber ist eine klare Abgrenzung möglich?
„Gemäßigte Muslime sollten eine fundierte theologische Stellungnahme abgeben, warum diese religiöse Auslegung einen Missbrauch der Religion darstellt. Ein gemäßigter Muslim in Deutschland hat vor ein paar Tagen gesagt, dass diese Extremisten das gängige Islamverständnis nur überspitzen und radikalisieren. In anderen Worten, ihre Haltung zum Umgang mit Ungläubigen, zum islamischen Staat, zur religiösen Gemeinschaft der Muslime, zur Rolle von Mann und Frau unterscheiden sich nur graduell, aber nicht prinzipiell. Wir sehen da eigentlich keine klare Abgrenzung. Die Basis, auf die sich die Extremisten berufen, ist das Gleiche, was man auch in den Moscheen findet. Und da ist meines Erachtens von muslimischer Seite Selbstkritik gefragt und eine neue Interpretation der religiösen Quellen.“
In manchen europäischen Ländern werden islamische Institutionen dazu lediglich gezwungen, also es wird von ihnen erwartet, Stellung zu beziehen. Halten Sie das für richtig? Kann das das Misstrauen zwischen Christen und Muslimen vergrößern?
„Wir können selbstverständlich nicht die Muslime, die in Europa leben, dafür haftbar machen, was im Nahen Osten passiert. Wir können aber, glaube ich, uns wünschen, dass hier in Europa lebende muslimische Organisationen dazu Stellung nehmen und sagen, wie sie dazu stehen und wie sie zum Beispiel die Jugend in Österreich, in Deutschland, in der Schweiz oder wo auch immer vor dieser Radikalisierung beschützen wollen."
(rv 11.09.2014 no)
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