Theologe: Erdogan nutzt Köln-Besuch für Präsidentschaftswahl
KNA 26.05.2014
Frankfurt/Köln (KNA) Mit seinem Auftritt in Köln will der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan nach Einschätzung des Frankfurter Theologen Timo Güzelmansur vor allem um die Stim-men der Auslandstürken für seine Präsidentschaftskandidatur werben. Im Gegenzug könnten die in Deutschland lebenden Landsleute Erdogans am morgigen Samstag in der Lanxess-Arena wenig von dem Gast erwarten, sagte der Leiter der Christlich-Islamischen Begegnungs- und Dokumentations-stelle (CIBEDO) in Frankfurt am Freitag im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Die Einrichtung ist eine Arbeitsstelle der Deutschen Bischofskonferenz und seit mehr als 30 Jahren im Dialog zwischen Katholiken und Muslimen aktiv.
"Eigentlich kann Erdogan den türkischstämmigen Menschen in Deutschland nichts geben, außer vielleicht eines, nämlich das Gefühl des 'Angenommenseins'", so Güzelmansur. "Er, der türkische Ministerpräsident, sorgt sich um seine Landsleute im Ausland. Das kommt an bei den Menschen."
Bei Protesten in Istanbul waren in der Nacht zum Freitag zwei Menschen ums Leben gekommen. In diesen Tagen jährt sich der Beginn der regierungskritischen Proteste im Istanbuler Gezi-Park. Zudem hatte es in den vergangenen Tagen immer wieder Proteste aufgrund des Grubenunglücks in Soma gegeben, bei dem mehr als 300 Menschen ums Leben kamen. Die Demonstranten machen die Re-gierung Erdogan für das Unglück verantwortlich.
Für die vor diesem Hintergrund immer heftigere Kritik aus Deutschland an dem Köln-Besuch Erdo-gans zeigte Güzelmansur Verständnis; zugleich warb er um eine nüchterne Betrachtung. "Ein Land wie Deutschland verkraftet so etwas sehr gut", so der türkischstämmige Theologe. "Vielleicht kann ja die Menschenrechtslage in Deutschland für Herrn Erdogan oder seine Berater als Beispiel dienen, damit sich in dieser Frage in der Türkei etwas in die richtige Richtung bewegt."
Unterdessen äußerten Vertreter aus Politik und Wissenschaft Unverständnis über den Auftritt Erdo-gans. "Er und seine Anhänger müssen selbst wissen, was dies für die Angehörigen der Opfer bedeu-tet und welches Bild von der Türkei in Deutschland dadurch entsteht", sagte Grünen-Chef Cem Özdemir mit Blick auf das Grubenunglück dem "Kölner Stadt-Anzeiger" (Samstag).
Die türkischstämmige Philosophin Seyla Benhabib, die am Montag mit dem Meister Eckhart Preis 2014 ausgezeichnet worden war, forderte im Gespräch mit der Zeitung den Rücktritt Erdogans. Sie bezeichnete den türkischen Regierungschef als Rechtspopulisten, dessen Amtszeit zudem Züge von "Autoritarismus, Autokratie und eine Art von Putinismus" aufweise, "wobei der Putinismus eine neue Form politischer Herrschaft ist, die sich auf gewisse gesellschaftliche Schichten stützt und darauf die Macht aufbaut".
(KNA - okpmn-89-00173)
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