Höchstes Kirchengremium diskutiert über Lage in Nahost
KNA 21.10.2014
Von Johannes Schidelko (KNA)
Vatikanstadt (KNA) Die Kirche will neben theologischen Lehrfragen und pastoralen Erwägungen nicht die aktuellen Nöte ihrer Gläubigen aus dem Blick verlieren. Und so schloss Papst Franziskus an die zweiwöchige Bischofssynode zur Familie ein Konsistorium der Kardinäle über die dramatische Situation der Christen in Nahost an. 86 Kardinäle und orientalische Patriarchen erörterten am Montag die Situation in Syrien und im Irak nach dem brutalen Vormarsch des "Islamischen Staates" (IS). Franziskus wollte mit diesem Kirchengipfel das Thema demonstrativ zu einem Kernanliegen der Weltkirche erheben, hieß es im Vatikan.
"Die aktuelle Lage ist inakzeptabel", betonte Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin in einer Analyse vor den versammelten Kardinälen. "Wir sind betroffen über die wachsende Bedrohung des Friedens und erschüttert über die Lage der christlichen Gemeinden und der anderen Bewohner der Region". Der IS gehe bei der Ausweitung seiner Macht mit unerhörter Grausamkeit und terroristischen Methoden vor: Massentötungen, Enthauptungen von Andersdenken, Verkauf von Frauen, Rekrutierung von Kindern als Kämpfer, Zerstörung von Kultstätten. Das habe Hunderttausende Menschen in die Flucht getrieben. Die internationale Gemeinschaft und die Vereinten Nationen müssten alles Mögliche unternehmen, "um einen möglichen und neuen Völkermord zu verhindern". Und die Kirche dürfe nicht schweigen über das Los ihrer Glaubensbrüder in der Region, so sein Plädoyer.
Die Konflikte in Irak und Syrien sowie insgesamt in Nahost gehörten zu den gefährlichsten Bedrohungen für die internationale Stabilität, hob Parolin hervor. Und diese Konflikte, auch der israelisch-palästinensische, ließen sich nicht durch Auflagen von außen beenden, sondern nur durch Dialog und regionale Lösungen, die den Interessen aller Parteien Rechnung trügen. Dabei lenkte er den Blick auch auf die Wurzeln der Krisen, auf manche Irrtümer der Vergangenheit und auf Hintergründe der Grausamkeiten. Keinesfalls dürfe man etwa die Augen vor dem Waffenhandel und den damit zusammenhängenden ethischen Fragen verschließen, mahnte er.
Das vierstündige Treffen erstellte keine neue Roadmap zur Lösung der Krisen in Nahost und keinen Aktionsplan für die Kirche. In erster Linie wollte der Papst sein wichtigstes Beratergremium über den Sachstand der Kirche zu diesem Krisenkomplex informieren, den Anfang Oktober die Vatikanbotschafter in einem dreitägigen Treffen in Rom zusammengetragen hatten. Zudem sollten die Patriarchen der betroffenen katholischen Nahostkirchen - Chaldäer, Melkiten, Maroniten, Kopten, Armenier und Lateiner - ein Gesprächsforum erhalten. Und das nutzten sie dankbar und ausführlich, wie Vatikansprecher Federico Lombardi hervorhob.
Wichtiger Aspekt des Konsistoriums war der Exodus der Christen aus ihren Ursprungländern, der - so Parolin - "scheinbar nicht aufzuhalten" sei. Dabei gehörten die Christen unverzichtbar zu den Gesellschaften ihrer Länder hinzu. "Die politischen Führer und die religiösen Verantwortlichen müssen dem Rechnung tragen und jede Politik oder Strategie vermeiden, die nur eine Gemeinschaft privilegiert". Parolin verwies zugleich auf die Kritik mancher Patriarchen an westliche Regierungen: Eine allzu großzügige Visa-Politik erleichtere mitunter den Exodus.
Von Seiten der Weltkirche werde humanitäre Hilfe für die Christen in der Region, aber auch für die Hunderttausenden Flüchtlinge in den Nachbarstaaten erwartet, betonte Parolin. Zugleich müsse die Kirche auf allen Ebenen zu Dialog und Versöhnung aufrufen. Sie müsse deutlich machen, dass insbesondere der interreligiöse Dialog ein "Antidot gegen einen Fundamentalismus" sei. Zudem sollten moderate Muslimführer in die Pflicht genommen werden, sich öffentlich vom Terror des IS zu distanzieren. Grundsätzlich gelte, dass die Entscheidung für Krieg das Leiden der Menschen vervielfache. "Der Weg der Gewalt führt nur zu Zerstörung, der Weg des Friedens dagegen zu Hoffnung und Fortschritt."
(KNA - olkmk-89-00151)
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