Aus dem zerstörten Maalula, wo man noch die Sprache Jesu spricht
KNA 03.12.2014
Von Karin Leukefeld (KNA)
Maalula (KNA) Ruhig fließt der Verkehr auf der Autobahn zwischen Homs und Maalula. Fast könnte man meinen, alles sei ruhig in diesem Land. Erinnerungen an ein anderes Syrien werden wach. Eines, das seit Jahrtausenden großartige Kulturschätze beherbergt und Heimat einer von Toleranz und Würde geprägten multireligiösen Gesellschaft war. Ob vertriebene Tscherkessen oder Armenier, Palästinenser oder Iraker: Alle wurden willkommen geheißen und prägten Syrien auf ihre eigene Art. Doch dann sieht man die Verwüstungen: zerschossene Brücken, verbrannte Häuser, Restaurants und Vergnügungsanlagen. Syrien am Ende des dritten Kriegsjahres ist ein zutiefst verwundetes Land.
Die Abfahrt nach Maalula ist mit Sandbergen verschüttet. Wer den Ort besuchen will, muss sich beim Militär melden. Das Kommen und Gehen von Fremden wird kontrolliert. Nach einem knappen Telefonat mit dem Hauptquartier in Damaskus, das die Fahrt bewilligt hat, heißt es: "Herzlich willkommen, bitte fahren Sie weiter."
Im April 2014 wurde Maalula nach monatelanger Besatzung durch die Al-Nusra-Front und andere Kampfverbände von der syrischen Armee befreit. Die Straßen sind gesäubert, die Versorgung mit Strom und Wasser und auch die Telefonverbindungen sind wiederhergestellt. Es fehlt an medizinischer Versorgung, doch eine Schule hat geöffnet, und rund 200 Familien sind zurückgekehrt.
Hoch über Maalula auf einem Felsen, auf der Kuppel des Klosters, das nach den Heiligen Sergius und Bacchus benannt ist, ragt ein Holzkreuz in den Himmel. Die Kuppel ist mit einer großen Plane des UN-Flüchtlingshilfswerks umwickelt, wie mit einem Verband. "Der Winter kommt, und wir wollen die Kirche vor Schnee und Regen schützen", sagt Majd Haddad. Früher hat der junge Mann als Fahrer gearbeitet. Seit über einem Jahr trägt er die Uniform der Nationalen Verteidigungskräfte. "Wir warten auf Hilfe und wünschen uns, dass das Holzkreuz endlich durch ein richtiges, schönes Kreuz ersetzt wird", sagt er. "Bald werden wir wieder all unsere Feste feiern können."
Auf dem Balkon des Klosters sitzt Fares Shalhoub und lässt eine Perlenkette durch seine Hände gleiten, beliebt bei Christen und Muslimen in arabischen Ländern gleichermaßen. Nachdenklich blickt er ins Tal. Sein Vater und dessen Vater lebten in Maalula, erzählt er und zieht aus seiner Jackentasche einen verblichenen Ausweis: "Das ist alles, was ich im Haus noch gefunden habe."
110 Jahre alt sei sein Vater geworden, sagt Shalhoub. Als er 1890 in Maalula geboren wurde, gehörte das Dorf noch zum Osmanischen Reich. "Wir haben hier viele Herrscher gehabt, doch Maalula spricht die Sprache von Jesus Christus, nicht die der Takfiris." Als "Takfiri" werden Muslime bezeichnet, die andere Muslime und Andersgläubige der Gottlosigkeit bezichtigen und verfolgen.
Elf Monate lang lebte Shalhoub mit seiner Familie im "Tal der Christen", das sich unterhalb der Kreuzritterburg "Krak des Chevaliers" weit nördlich von Maalula erstreckt. Nun sei er zurückgekommen, um zu sehen, was von ihrem Haus übrig geblieben ist.
"Viel ist es nicht", sagt er und lädt zu einem Rundgang durch das alte Viertel ein. Die Altstadt von Maalula liegt in Trümmern. Weil Stockwerk auf Stockwerk und Haus auf Haus gebaut wurde, wird es schwer sein, die alte Struktur wiederherzustellen. Schwere Baugeräte können die engen Gassen und Treppen nicht passieren, und einen Lastesel zu mieten, ist heute teuer. Die jahrhundertealten Häuser waren traditionell mit Holz gebaut. "Als das Holz Feuer fing, brannte es lichterloh und riss Decken und Böden mit sich in die Tiefe."
Dann bleibt er vor einem Haus unmittelbar neben einer Kirche am Fuß der Altstadt stehen. Es ist verlassen, die Innenräume verbrannt. Auf der Mauer steht mit schwarzer Farbe: "Die Diab-Familie wird nirgends und niemals Ruhe finden". Die Diab-Familie gehört zu einer muslimischen Kaufmannsdynastie aus Homs und hatte sich vor Generationen in Maalula niedergelassen. "Wir haben immer in Frieden mit ihnen gelebt. Aber sie haben den Kämpfern geholfen, nach Maalula zu kommen, und gefeiert, als wir flohen", sagt Shalhoub bitter. "Nie wieder werden wir mit solchen Leuten zusammenleben können."
(KNA - olmkn-89-00034)
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