Theologe Güzelmansur über Erdogan und seinen Deutschlandbesuch
KNA 05.02.2014
"Türkische Innenpolitik in Deutschland"
Theologe Güzelmansur über Erdogan und seinen Deutschlandbesuch
Von Joachim Heinz (KNA)
Frankfurt (KNA) Der jüngste Deutschlandbesuch des türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan hat wieder einmal für eine Menge Schlagzeilen gesorgt. Im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) ordnet der türkischstämmige katholische Theologe Timo Güzelmansur die Kurzvisite ein. Der 37-Jährige ist Leiter der Christlich-Islamischen Begegnungs- und Dokumenta-tionsstelle (CIBEDO).
KNA: Herr Güzelmansur, "Berlin trifft den großen Meister" lautete der Titel der Veranstaltung, unter der Ministerpräsident Erdogan am Dienstagabend zu seinen in Deutschland lebenden Landsleuten sprach - welche Wirkung haben diese Auftritte in der deutsch-türkischen Community?
Güzelmansur: "Berlin trifft den großen Meister", das ist wirklich kein bescheidener Titel… Wenn der türkische Ministerpräsident in seiner Rede am Dienstagabend sagt: "Wir sind ein Volk, dass aus der Asche sich noch erhebt und das groß und stark sein wird", trifft dies zwar nicht die Lebenswelt seiner Zuhörer, deutet aber das Ziel seines Auftritts an. Er macht türkische Innenpolitik in Deutschland.
KNA: Stößt das auf Resonanz?
Güzelmansur: Dieses Mal haben sich nur rund 3.000 Zuhörer versammelt, um ihn zu feiern. In Köln 2008 waren es noch etwa 16.000 Menschen. Das ist ein Indiz dafür, dass er nicht mehr so viele tür-kischstämmige Menschen begeistert. Als "Mudschahid Erdogan" sollen ihn vor allem Anhänger der Milli Görüs Bewegung gefeiert haben, und dort hat er wohl seine meisten Unterstützer. Solche Auftrit-te möchten unter anderem eines, nämlich die Bindung der hier lebenden türkischstämmigen Men-schen an die Türkei festigen und natürlich auch um die Stimmen der Wahlberechtigten bei den im März anstehenden Kommunalwahlen werben.
KNA: Fast schon traditionell fordern Vertreter aller Parteien vor Besuchen türkischer Politiker mehr Religionsfreiheit in der Türkei. Wie beurteilen Sie die Lage?
Güzelmansur: Die türkische Regierung hat in Fragen der Religionsfreiheit für die Minderheiten in der Türkei nicht viel getan. Beinahe alle gesetzlichen Erleichterungen haben der muslimischen Mehrheit gedient. Bislang bleiben etwa die Anforderungen der Aleviten, die schätzungsweise 15 bis 20 Pro-zent der Bevölkerung ausmachen, ungehört. Diese Gruppe wird nicht als eine religiöse Minderheit anerkannt. Weder ihre religiösen Kultstätten sind offiziell anerkannt, noch dürfen sie, anders als in Deutschland, einen alevitischen Religionsunterricht erteilen.
KNA: Und die Christen?
Güzelmansur: Was die Religionsfreiheit für die Christen angeht, muss man leider sagen, dass die Regierung von Erdogan und er selbst verantwortlich sind, dass bis jetzt das Priesterseminar des Ökumenischen Patriarchats auf der Insel Chalki vor Istanbul noch nicht eröffnet wurde, trotz wieder-holter Versprechen. Geschweige denn, dass die katholische Kirche in der Türkei rechtlich anerkannt ist. Auch wurde das syrisch-orthodoxe Kloster Mor Gabriel im Osten der Türkei, das um 400 nach Christus gebaut wurde, mit absurden Behauptungen, wie das Kloster sei auf einer Moschee gebaut worden, angeklagt.
KNA: Welche konkrete Rolle spielte Erdogan im Fall des Klosters?
Güzelmansur: Die Regierung Erdogan hat tatenlos zugeschaut. Nach dem Salami-Prinzip will man Stück für Stück das Kloster enteignen und das Leben der Christen unerträglich machen. Letztendlich könnte man meinen, die Restriktionen im Hinblick auf die Christen zielten auf lange Sicht darauf hin-aus, sie aus dem Land zu vertreiben.
KNA: Kehren wir nach Deutschland zurück: Der Kölner Kardinal Joachim Meisner sorgte unlängst mit einer kritischen Äußerung über Muslime für Schlagzeilen. Macht sich so etwas im interreligiösen Dialog bemerkbar?
Güzelmansur: Der interreligiöse Dialog ist eine sensible Angelegenheit. Das haben wir in diesem Fall an den Reaktionen der muslimischen Verbandsvertreter gesehen. Ich glaube aber nicht, dass die Aussage des Kardinals dem Dialog zwischen Christen und Muslimen schaden wird. Sie wird ihn aber auch nicht fördern.
KNA: Erdogan steht innenpolitisch unter großem Druck. Beobachter machen dafür die Bewegung von Fethullah Gülen verantwortlich. Was verbirgt sich dahinter - und welche Rolle spielt die Bewe-gung in Deutschland?
Güzelmansur: Was sich zur Zeit in der Türkei abspielt, die Rivalität zwischen Erdogan und Gülen, war vor einem Jahr undenkbar. Wir wissen eigentlich noch nicht genau, was da vor sich geht: Minis-tersöhne werden verhaftet, Minister treten von deren Posten zurück, die Hälfte des Kabinetts wurde ausgetauscht, Hunderte von Staatsanwälten und Tausende von Polizisten wurden versetzt. Die eins-tigen Weggefährten scheint etwas auseinander zu treiben.
KNA: Welche Ziele verfolgt Gülen?
Güzelmansur: Fethullah Gülen lebt in den USA und hat weltweit in über 140 Ländern ein Netzwerk von Anhängern, die sich vor allem im Bildungssektor engagieren. So auch in Deutschland. Hierzu-lande werden diesem Netzwerk rund 20 Schulen und 300 Nachhilfezentren zugeordnet. Die Bewe-gung transportiert eine Mischung aus türkisch geprägter Mystik und türkischem Nationalismus, vor allem durch die weltweit organisierten Olympiaden für türkische Sprache. Die Bewegung ist in Deutschland sehr gut vernetzt und unterhält neben Bildungseinrichtungen auch Printmedien wie die auflagenstärkste türkische Zeitung "Zaman", deren Europazentrale in Offenbach ist, und einige Ein-richtungen für interkulturellen Dialog.
KNA: Eine Einordnung scheint schwierig zu sein.
Güzelmansur: Erst am Dienstag wurde in der Sendung Report Mainz berichtet, dass der Verfassungsschutz in Baden-Württemberg die Bewegung genauer unter die Lupe genommen hat. Die Erfahrungen mit der Bewegung im Interreligiösen Dialog sind dabei durchaus positiv. Was allerdings auffällt, ist eine wenig greifbare Struktur und ein Mangel an Transparenz.
(KNA - okmkp-89-00088)
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