Gnadenloser Kampf der ehemaligen islamischen Bundesgenossen
KNA 23.01.2014
Von Bettina Dittenberger (KNA)
Istanbul (KNA) In der Türkei vergeht derzeit kein Tag, an dem die islamisch-konservative Regierung von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan nicht auf eine Unterwanderung des Staates durch Anhänger des Predigers Fethullah Gülen schimpft. Seit gülentreue Staatsanwälte im Dezember schwere Korruptionsvorwürfe gegen die Regierung Erdogan erhoben, herrscht Krieg zwischen den beiden Lagern. Dabei waren der 59-jährige Erdogan und der 72-jährige Gülen lange Zeit politische Verbündete. Doch die Allianz ist zerbrochen. Derzeit sieht Erdogan wie der Sieger aus.
Gülens Bewegung "Hizmet" (Dienst) verfügt in der Türkei über mehrere Millionen Anhänger und erheblichen Einfluss. Schulen, Banken, Wirtschaftsverbände und Medien gehören zu der Bewegung, die viele Vertreter in führende Positionen im Staatsapparat hat. Gülen hatte in den vergangenen Jahren großen Anteil an der "Herausbildung einer in moralischer Hinsicht konservativen Gegenelite" zu den alten laizistisch-autoritären Führungskadern, wie es der Türkei-Experte Günter Seufert von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik beschreibt.
Dabei war Gülen in den frühen 90er Jahren für die damals noch stark säkularistische Elite in der Türkei ein willkommener Vertreter des "Soft Islam", der mit einem Netzwerk von Privatschulen in Zentralasien und auf dem Balkan den Interessen des türkischen Staates diente. Ende des Jahrzehnts kam jedoch der Verdacht auf, Gülen plane einen islamistischen Staatsstreich. Der Prediger floh in die USA, wo er seit 1999 lebt. Von dort aus lenkt er die Bewegung, die auch in Deutschland stark vertreten ist.
Erdogans Regierungspartei AKP, die Ende 2002 die Macht in Ankara übernahm, war für "Hizmet" ein idealer Partner. "Die Weltsicht beider Bewegungen vereint muslimische Sittlichkeit und Moralität mit türkisch-nationalem Sentiment", schreibt Seufert in einer aktuellen Analyse. "Hizmet" unterstützte die Erdogan-Regierung bei politischen Reformen und besonders im Kampf gegen den politischen Einfluss der säkularistischen Militärs.
Doch die Interessen entwickelten sich auseinander, die beiden Partner wurden allmählich zu Konkurrenten. Erdogans Regierung war nicht entgangen, dass sich viele Gülen-Anhänger im Staatsapparat nach oben gearbeitet hatten. Immer mehr stand für sie die Frage nach der Loyalität im Raum. Zudem setzt Erdogan seit der Parlamentswahl 2011 zunehmend auf einen konfrontativ-autoritären und polarisierenden Stil, um die konservativen Wähler um sich zu scharen. Die Gülen-Bewegung plädiert dagegen dafür, islamische Wertvorstellungen mit Hilfe des Dialogs in der Gesellschaft zu verankern. Das passt Erdogan nicht; er will mit einem Lagerwahlkampf die anstehenden Wahlen gewinnen.
Der Streit um die Korruptionsvorwürfe bildet den vorläufigen Höhepunkt der Auseinandersetzung. Erdogan wirft den Gülen-Anhängern vor, einen Staat im Staate gebildet zu haben, und hat deshalb seit Dezember mehrere tausend Polizisten, Richter und Staatsanwälte zwangsversetzen lassen, die als Gülen-Anhänger galten. Um Gülens Einfluss weiter zu begrenzen, will sich die Regierung selbst das Recht zur Ernennung und Versetzung von Richtern und Staatsanwälten geben; Kritiker sehen dadurch die Gewaltenteilung in Gefahr.
Nun hat sich Gülen öffentlich von Erdogan losgesagt. Dem "Wall Street Journal" sagte er, Erdogan habe den Weg der demokratischen Reformen verlassen. Anders als in den vergangenen Jahren kann Erdogan nicht mehr auf die Wählerstimmen der Gülen-Anhänger setzen. Einige AKP-Abgeordnete sind aus Protest gegen das Vorgehen gegen die "Hizmet"-Bewegung aus der Partei ausgetreten. Auch sehen einige Umfragen einen Einbruch der Unterstützung für die Erdogan-Partei. Noch sitzt der Ministerpräsident jedoch fest im Sattel. Wenn er bei den Kommunalwahlen am 30. März ähnlich gut abschneidet wie in den Vorjahren, wird er den Machtkampf mit Gülen endgültig für sich entschieden haben.
(KNA - oklmm-89-00149)
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