Papst punktete in der Türkei mit Betonung gemeinsamer Werte
KNA 01.12.2014
Von Bettina Dittenberger (KNA)
Istanbul (KNA) "Der Papst? Ist der nicht schon wieder weg?" fragte ein Istanbuler, während das Oberhaupt von 1,2 Milliarden Katholiken am Wochenende die Hagia Sophia und die Blaue Moschee besuchte und sich in seiner Stadt mit dem Oberhaupt von 300 Millionen orthodoxer Christen traf. Was in anderen Ländern ein Massenereignis gewesen wäre, wurde von vielen Normalbürgern in Istanbul nur am Rande registriert. Ein Publikumsrenner war Franziskus am Bosporus nicht.
Verkehrsbehinderungen aufgrund von Absperrungen entlang der Fahrtrouten des Papstes durch die Stadt waren für viele der rund 15 Millionen Einwohner das sichtbarste Zeichen, dass ein wichtiger Gast eingetroffen war. Anders als bei anderen Auslandsreisen des Papstes gab es hier kein Gedränge, keine jubelnden Massen. In dem Land mit seinen mehr als 70 Millionen Muslimen und weniger als 200.000 Christen hätte das auch überrascht.
Dennoch kann Franziskus den Besuch als Erfolg verbuchen. Für die türkische Seite waren besonders sein bescheidenes Auftreten und sein Verzicht auf einen erhobenen Zeigefinger wichtig. Letzteren hatte Franziskus' Vorgänger Benedikt XVI. bei dessen Besuch 2006 für den Geschmack der Türken etwas zu viel eingesetzt. Misstrauen abzubauen, schaffte Franziskus mit einer Mischung aus Bescheidenheit - der Verzicht auf große gepanzerte Limousinen spielte für die türkische Öffentlichkeit eine große Rolle - und Gesten des Respekts vor dem Islam, wie dem Gebet in der Blauen Moschee.
Er sei sich mit dem Papst in allen wichtigen Fragen einig, sagte Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan nach seinem Treffen mit Franziskus am Freitag. Insbesondere der gemeinsame Appell gegen Gewalt und Extremismus war für Erdogan wichtig. Er baut sich derzeit systematisch ein Image als Fürsprecher der islamischen Welt auf; deshalb kommen ihm gemeinsame Aufrufe wie mit dem Papst sehr gelegen. Bei der Begegnung mit dem wichtigsten Vertreter der Christen weltweit konnte er gewissermaßen als Vertreter der Muslime auftreten.
Franziskus verzichtete darauf, Erdogan wegen diesem Anspruch oder dessen Prunksucht und autoritären Tendenzen offen zu kritisieren. Stattdessen betonte er die gemeinsamen Werte von Christen und Muslimen. Freilich wies er den Präsidenten auf die Bedeutung der Grundrechte hin. Juden und Christen müssten dieselben Rechte haben wie Muslime, so der Papst - was man in der Türkei, etwa angesichts des Nein des Staates zur Anerkennung vieler christlicher Gemeinden als Rechtspersönlichkeiten, nicht behaupten kann. Beim Dialog der Religionen geht es also nicht nur um die von Erdogan beklagte Islamophobie im Westen.
Nachdem er mit seiner respektvollen Haltung bei den Türken gepunktet hatte, konnte sich Franziskus seinem eigentlichen Hauptanliegen widmen: den Bemühungen um eine Überwindung der Kirchenspaltung. Sein Gesprächspartner, der Ökumenische Patriarch von Konstantinopel, hat es nicht immer leicht in der Türkei. Bartholomaios I. steht bei Islamisten und Nationalisten unter dem Dauerverdacht, als Agent feindlicher Mächte die Einheit der Türkei unterwandern zu wollen. Die orthodoxe Hochschule Chalki bei Istanbul ist seit 40 Jahren geschlossen, was die Zukunft der Kirche am Bosporus gefährdet.
Auch für den Papst ist das eine schwierige Situation - denn plakative Solidaritätsbekundungen könnten von türkischer Seite als Bündnis der Weltkirchen gegen Ankara ausgelegt werden. Vor und während des Papstbesuches warnte die islamistische Presse davor, Franziskus wolle das orthodoxe Patriarchat zu einem zweiten Vatikan ausbauen, also einem eigenen Staat auf türkischem Boden. Solche Verschwörungstheorien gehen zum Teil auf Ressentiments aus der Geschichte zurück: Die religiöse Glückseligkeitspartei (SP) unterstellte dem Papst, er habe die "Mentalität eines Kreuzfahrers".
Auch wenn die SP mit etwa einem Prozent der Wählerstimmen keine tonangebende Institution ist: Der misstrauische Blick auf das Patriarchat am Goldenen Horn macht die Bemühungen von Papst und Patriarch um eine Wiedervereinigung der Kirchen nicht einfacher. Doch nach Ansicht von Franziskus gibt es trotz aller Probleme angesichts der Christenverfolgung in den türkischen Nachbarländern Syrien und Irak eine neue Dringlichkeit in den Einigungsbemühungen: Die "Schreie der Opfer" spornten die Bemühungen um eine Wiederannäherung zwischen beiden Kirchen an.
(KNA - ollnk-89-00038)
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