Forscher: Isis kopiert mit Ausrufung des Kalifats alte Strategie
KNA 01.07.2014
Münster (KNA) Der Münsteraner Islamwissenschaftler Marco Schöller sieht in der Ausrufung eines Kalifats im Irak durch die Islamisten-Miliz Isis die Kopie einer alten Legitimationsstrategie in der arabischen Welt. "Die Dschihadisten-Gruppe nutzt einen Vorteil am Konzept des Kalifats, den beispielsweise schon Berber oder turkmenische Stämme vor Jahrhunderten zum Machtgewinn nutzten", erklärte er am Dienstag in Münster. Die nicht an ein Territorium gebundene Kalifen-Herrschaft erhebe einen weltweiten Anspruch und mache damit auch Al Kaida Konkurrenz.
Wie Isis hätten verschiedenste Stämme oder Dynastien in der islamischen Geschichte blutig um die Vorherrschaft gerungen und dabei auch mit der Ausrufung von Kalifaten operiert, so der Forscher. Oft habe es mehrere Kalifate gleichzeitig gegeben. Heutige Extremisten blendeten aber aus, dass in der Geschichte des Islams nie abschließend geklärt worden sei, wie das Kalifat eigentlich zu erlangen sei, etwa durch Wahl, Abstimmung oder Erbe.
Der Kalifen-Titel bezeichnet einen Stellvertreter des Propheten oder Gottes auf Erden, wie Schöller ausführte. Er besteht seit der Herrschaft der Umayyaden im 7. Jahrhundert mit Sitz in Damaskus. Dieses Herrscherhaus wurde 749 von den Abbasiden abgelöst, die ihren Sitz nach Bagdad verlegten und in den Folgejahrhunderten durch Konkurrenz-Kalifate wiederum infrage gestellt und dann entmachtet wurden. Anfang des 20. Jahrhunderts schafften die Osmanen das Kalifat ab.
"Die religiöse Dimension des Kalifats spielte im Vergleich zur machtpolitischen Bedeutung schon in den ersten Jahrhunderten nur eine geringe Rolle", so der Arabist. "Heute ist in der islamischen Welt jedoch in allen Bereichen eine Wiederaufwertung der religiösen Aspekte festzustellen." So wie das Kopftuch wieder vermehrt als religiöses Symbol verstanden werde, habe auch die geistliche Bedeutung des Kalifats an Gewicht gewonnen. "Dass Abu Bakr al-Baghdadi, der jetzt den Kalifentitel beansprucht, selbst islamische Theologie studiert hat, mag diesen Anspruch bei vielen seiner Anhänger noch bestärken", betonte Schöller vom Forschungsverbund "Religion und Politik" an der Uni Münster.
(KNA - okrkl-89-00132)
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