Islamwissenschaftler Thielmann zu Kunst und Blasphemie
KNA 14.02.2014
"Jede Religion braucht Kritik"
Islamwissenschaftler Thielmann zu Kunst und Blasphemie
Von Claudia Zeisel (KNA)
Erlangen (KNA) Vor 25 Jahren sprach der iranische Präsident Ajatollah Chomeini (1902-1999) einen Richtspruch, eine sogenannte Fatwa, gegen den britisch-indischen Schriftsteller Salman Rushdie aus. Er wurde beschuldigt, in seinem Roman "Die satanischen Verse" den Propheten Mohammed beleidigt zu haben. Der Islamwissenschaftler Jörn Thielmann (47) vom Erlanger Zentrum für Islam und Recht in Europa (EZIRE) der Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg spricht im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) über die Grenzen von Religionskritik und Chancen einer neuen Kultur des Dialogs in islamischen Gesellschaften.
KNA: Herr Thielmann, vor 25 Jahren wurde Salman Rushdie beschuldigt, in seinem Werk "Die satanischen Verse" den Propheten Mohammed beleidigt zu haben. Wie bewerten Sie diese Kritik aus heutiger Sicht?
Thielmann: Im Grunde hat er in seinem Buch lediglich einen islamischen Traditionsbestand verarbeitet, der später wieder aus dem Koran gestrichen wurde, nämlich die teuflische Irreführung Mohammeds mit den drei Göttinnen. Der Teufel hatte Mohammed geblendet, und er erzählte etwas, das nicht mit den Worten Gottes gedeckt war. Durch Rushdies Erzählstil wirkte die Geschichte vielleicht frivol. Aber an sich ist es ja kein religionskritischer Text. Jede Religion braucht die Kritik von Künstlern, Wissenschaftlern und Bürgern. Selbst Blasphemie muss eine Religion aushalten können. Das lässt die eigenen Positionen reifen und verdichtet die eigene Reflexion. Die Frage ist, ob die Menschen bereit sind, das auszuhalten.
KNA. Der sogenannte Karikaturenstreit hat gezeigt, dass viele Menschen nicht dazu bereit waren. Weltweit wurde gegen die Karikaturen des Propheten in der dänischen Zeitung "Jyllands Posten" protestiert. Hatten die Journalisten Recht, die Zeichnungen zu drucken?
Thielmann: Das waren Auftragsarbeiten mit dem Ziel zu provozieren. Nur um zu schauen, wie weit man gehen kann, bis Muslime und andere Gruppen an die Decke gehen. Das ist keine Kritik. Man muss mit dem Recht auf Meinungsfreiheit verantwortungsvoll umgehen. Die Werke von Künstlern sollten von ihrem Bedürfnis bestimmt sein, sich auszudrücken - nicht aus der Überlegung, wie sie am meisten Aufmerksamkeit mit blasphemischen Inhalten erregen können. Sonst wird die Kunst zweckentfremdet. Die überschäumenden Reaktionen vieler Muslime waren teilweise auch nur ein Ventil für viel tieferliegende gesellschaftliche Probleme.
KNA: Diese kamen besonders im Arabischen Frühling zutage. Hat sich dadurch in Sachen Meinungs- und Religionsfreiheit nicht einiges getan?
Thielmann: In einigen Ländern schon. In Tunesien etwa konnte die islamistische Ennahda-Regierung weitestgehend verhindern, dass nichtstaatliche, extremistische Gruppen die Meinungsfreiheit unterdrücken und Andersdenkende verfolgen. Es ist selten nur der Staat wie noch bei Salman Rushdie, der Kritiker und Andersdenkende verfolgt, sondern parastaatliche Akteure, Privatunternehmer der religiösen Moral. In Ägypten etwa ist die Gesellschaft enorm polarisiert. Menschen gegensätzlicher politischer und religiöser Überzeugung verteufeln sich oft gegenseitig. Man spricht dem jeweils anderen gar das Menschsein ab. Der Staat tut oft zu wenig, um die Religions- und Meinungsfreiheit der Bürger zu schützen.
KNA: Müssten die USA und Europa mehr Unterstützung für demokratische Prozesse bieten?
Thielmann: Der Westen ist froh, dass in Ägypten zumindest die Gefahr eines islamistischen Staates gebannt wurde. Deshalb verschließt er jetzt die Augen vor den Menschenrechtsverletzungen der Militärregierung an Islamisten wie Liberalen. Jene, die wagen, Kritik am Handeln der Regierung zu üben, werden mundtot gemacht. Die USA vergeben jährlich eine Milliarde US-Dollar an das ägyptische Militär. Sie hätten also erheblich mehr Möglichkeiten, Rote Linien zu ziehen, haben aber Furcht vor noch mehr Instabilität in dem Land. Auch Europa ist zu passiv und verfolgt keine klare Linie. Dabei hätte es viel beizusteuern - etwa Ideen, wie Religion und Politik zusammenkommen. Wir dürfen nicht vergessen, dass andere Länder in der Region viel aktiver sind: die Golfstaaten beispielsweise, die massiv investieren und salafistische Gruppen fördern.
KNA: Inwiefern kann mehr Bildung für eine Sensibilisierung der Gesellschaft für Toleranz, Meinungs- und Religionsfreiheit sorgen?
Thielmann: Bildung ist der wichtigste Schlüssel. Sie könnte den Menschen helfen, miteinander im Gespräch zu bleiben, statt sich gegenseitig zu verteufeln. Der zweite Schlüssel ist die Schaffung von Perspektiven. Es braucht dringend eine wirtschaftliche Entwicklung in den Ländern. Die Menschen sind müde, dass sich an ihrer konkreten Lebensperspektive nichts ändert. Europa könnte da eine Menge für sie tun, etwa mit dem Öffnen des Agrarmarktes für den Mittelmeerraum, damit dieser konkurrenzfähig wird. Auch Investitionen, die Arbeit schaffen, sind wichtig. Im Grunde haben die Länder ja alle Potenzial.
(KNA - okmlo-89-00062)
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