Die Lage der Christen in der Türkei - Ein Besuch in Istanbul
KNA 18.11.2014
Von Thomas Jansen (KNA)
Vatikanstadt/Istanbul (KNA) Wenn Papst Franziskus Ende des Monats in die Türkei reist, dürfte eines der Gesprächsthemen während der Begegnungen mit Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan und anderen staatlichen und kirchlichen Vertretern die Lage der etwa 100.000 Christen im Land sein. Christen und Religionsgemeinschaften überhaupt, also auch Muslime, haben in der streng laizistischen Republik des Kemal Atatürk seit jeher einen schweren Stand. Seit dem Regierungsantritt von Erdogan als Ministerpräsident 2003 sprechen viele Beobachter jedoch von einer "Islamisierung" der Türkei. Für die christlichen Kirche scheint dies allerdings kein Nachteil zu sein, wie ein Besuch in Istanbul nahelegt.
Der armenisch-apostolische Patriarchalvikar in Istanbul, Erzbischof Aram Atesyan, etwa sieht Fortschritte für die Christen unter der Regierung der AKP von Staatspräsident Erdogan. Der Vertreter der größten christlichen Kirche in der Türkei verweist vor Journalisten darauf, dass man dort nun frei die Religion wechseln könne. Nach dem Gesetz sei dies zwar auch schon früher möglich gewesen. In der Praxis hätten die Gerichte, denen dieses Ansinnen vorgetragen werden musste, einen Übertritt jedoch meist abgelehnt. Heute sei ein Religionswechsel zumindest von staatlicher Seite aus nur noch eine Formalie.
Auch der Ökumenische Patriarch Bartholomaios I. registriert einen größeres staatliches Entgegenkommen gegenüber seiner Kirche seit dem Regierungsantritt Erdogans. So werde er etwa seit einiger Zeit in offiziellen türkischen Dokumenten als "Ökumenischer Patriarch" bezeichnet. Diesen Titel, der seinen Ehrenvorrang innerhalb der orthodoxen Christenheit zum Ausdruck bringt, hatte die Türkei ihm früher verweigert. Auf die Genehmigung für ein eigenes griechisch-orthodoxes Priesterseminar allerdings wartet er bislang vergeblich. Man habe ihm gesagt, dass die griechische Regierung auch keine neue Moschee in Athen genehmige. Das ist aus seiner Sicht ein Unding: "Wir sind vollberechtigte türkische Bürger und dürfen nicht Opfer der türkisch-griechischen Beziehungen sein."
Der syrisch-orthodoxe Metropolit in Istanbul, Yusuf Cetin, zeichnet ebenfalls ein insgesamt positives Bild der Entwicklung in den vergangenen Jahren. Besonders gravierend bleibt aus seiner Sicht jedoch, dass Christen an staatlichen Schulen weiter diskriminiert würden. Sunnitisch-islamischer Religionsunterricht ist dort Wahlpflichtfach. Wer ihn abwähle, dem fehlten auf dem Zeugnis Punkte. Alternativen zum islamischen Religionsunterricht sind das Fach "Geschichte des Propheten Mohammed" oder Arabisch.
Im kirchlichen Leben trete die Benachteiligung der Christen allerdings nicht jeden Tag hervor, berichtet der Apostolische Vikar von Istanbul, der katholische Bischof Louis Pelatre. Zu den städtischen Stellen bestehe ein sehr gutes Verhältnis, so der aus Frankreich stammende Bischof. Fast jede Woche sei er zu offiziellen Terminen eingeladen. Als er jedoch gefragt habe, ob man ihn denn dann nicht auch offiziell anerkennen könne, sei die Antwort gewesen: "Wir laden dich doch nur ein, weil du ein so netter Kerl bist". Schwierig werde es für die Katholiken immer dann, wenn es etwa darum gehe, Gebäude zu renovieren, erklärt Pelatre. In solchen Fällen mache sich fehlende rechtliche Anerkennung der katholischen Kirche bemerkbar. Da müsse man dann "türkische Lösungen" finden.
Eine Ahnung davon, wie eine solche "türkische Lösung" aussehen kann, vermittelt ein Besuch des armenisch-apostolischen Patriarchats in Istanbul. Dort befindet sich zur Rechten der Hauptkirche eine weitere Kirche, die vor einigen Jahren wieder aufgebaut wurde. Sie wird nach den Worten des Patriarchalvikars als "Kulturzentrum" genutzt. Zu sehen sind darin großformatige Porträts von Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk, Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan und anderen türkischen Staatsmännern. Flankiert werden sie von teils recht freizügigen Ölgemälden.
(KNA - ollls-89-00040)
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