Die Lage der Christen in der Türkei - Ein Besuch in Istanbul
KNA 10.11.2014
Von Thomas Jansen (KNA)
Istanbul (KNA) Wenn Papst Franziskus Ende des Monats in die Türkei reist, dürfte eines der Gesprächsthemen während der Begegnungen mit Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan und anderen staatlichen und kirchlichen Vertretern die Lage der etwa 100.000 Christen im Land sein. Christen und Religionsgemeinschaften überhaupt, also auch Muslime, haben in der streng laizistischen Republik des Kemal Atatürk seit jeher einen schweren Stand. Seit dem Regierungsantritt von Erdogan als Ministerpräsident 2003 sprechen viele Beobachter jedoch von einer "Islamisierung" der Türkei. Für die christlichen Kirche scheint dies allerdings kein Nachteil zu sein, wie ein Besuch in Istanbul nahelegt.
Der armenisch-apostolische Patriarchalvikar in Istanbul, Erzbischof Aram Atesyan, etwa sieht Fortschritte für die Christen unter der Regierung der AKP von Staatspräsident Erdogan. Der Vertreter der größten christlichen Kirche in der Türkei verweist vor Journalisten darauf, dass man dort nun frei die Religion wechseln könne. Nach dem Gesetz sei dies zwar auch schon früher möglich gewesen. In der Praxis hätten die Gerichte, denen dieses Ansinnen vorgetragen werden musste, einen Übertritt jedoch meist abgelehnt. Heute sei ein Religionswechsel zumindest von staatlicher Seite aus nur noch eine Formalie.
Auch der Ökumenische Patriarch Bartholomaios I. registriert ein größeres staatliches Entgegenkommen gegenüber seiner Kirche seit dem Regierungsantritt Erdogans. So werde er etwa seit einiger Zeit in offiziellen türkischen Dokumenten als "Ökumenischer Patriarch" bezeichnet. Diesen Titel, der seinen Ehrenvorrang innerhalb der orthodoxen Christenheit zum Ausdruck bringt, hatte die Türkei ihm früher verweigert. Auf die Genehmigung für ein eigenes griechisch-orthodoxes Priesterseminar allerdings wartet er bislang vergeblich. Man habe ihm gesagt, dass die griechische Regierung auch keine neue Moschee in Athen genehmige. Das ist aus seiner Sicht ein Unding: "Wir sind vollberechtigte türkische Bürger und dürfen nicht Opfer der türkisch-griechischen Beziehungen sein."
Der syrisch-orthodoxe Metropolit in Istanbul, Yusuf Cetin, zeichnet ebenfalls ein insgesamt positives Bild der Entwicklung in den vergangenen Jahren. Besonders gravierend bleibt aus seiner Sicht jedoch, dass Christen an staatlichen Schulen weiter diskriminiert würden. Sunnitisch-islamischer Religionsunterricht ist dort Wahlpflichtfach. Wer ihn abwähle, dem fehlten auf dem Zeugnis Punkte. Alternativen zum islamischen Religionsunterricht sind das Fach "Geschichte des Propheten Mohammed" oder Arabisch.
Im kirchlichen Leben trete die Benachteiligung der Christen allerdings nicht jeden Tag hervor, berichtet der Apostolische Vikar von Istanbul, der katholische Bischof Louis Pelatre. Zu den städtischen Stellen bestehe ein sehr gutes Verhältnis, so der aus Frankreich stammende Bischof. Fast jede Woche sei er zu offiziellen Terminen eingeladen. Als er jedoch gefragt habe, ob man ihn denn dann nicht auch offiziell anerkennen könne, sei die Antwort gewesen: "Wir laden dich doch nur ein, weil du ein so netter Kerl bist". Schwierig werde es für die Katholiken immer dann, wenn es etwa darum gehe, Gebäude zu renovieren, erklärt Pelatre. In solchen Fällen mache sich fehlende rechtliche Anerkennung der katholischen Kirche bemerkbar. Da müsse man dann "türkische Lösungen" finden.
Eine Ahnung davon, wie eine solche "türkische Lösung" aussehen kann, vermittelt ein Besuch des armenisch-apostolischen Patriarchats in Istanbul. Dort befindet sich zur Rechten der Hauptkirche eine weitere Kirche, die vor einigen Jahren wieder aufgebaut wurde. Sie wird nach den Worten des Patriarchalvikars als "Kulturzentrum" genutzt. Zu sehen sind darin großformatige Porträts von Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk, Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan und anderen türkischen Staatsmännern. Flankiert werden sie von teils recht freizügigen Ölgemälden.
(KNA - olllk-89-00040)
Christen in der Türkei
Istanbul (KNA) Die heutige Türkei zählt zu den wichtigsten Regionen des frühen Christentums. Noch bis ins 20. Jahrhundert stellten die Christen im Kernland des damaligen Osmanischen Reiches eine bedeutende Minderheit von etwa 30 Prozent der Bevölkerung. Bis heute sank ihre Zahl auf geschätzt nur noch etwa 100.000 bis 150.000. Bei rund 75 Millionen Bürgern insgesamt, die zu über 99 Prozent Muslime sind, ist das ein Anteil von circa 0,2 Prozent. Ursachen für den drastischen Rückgang des Christentums sind unter anderem die Massenmorde an den Armeniern während des Ersten Weltkriegs, der griechisch-türkische Bevölkerungsaustausch im Zuge des Vertrags von Lausanne 1923 und eine für Christen über Jahrzehnte ungünstige Religionspolitik.
Die Griechisch-Orthodoxen, neben den Armeniern und den Juden die einzige offiziell anerkannte nichtmuslimische Religionsgemeinschaft der Türkei, sind in den vergangenen vier Jahrzehnten allein in Istanbul von 85.000 auf etwa 2.000 geschrumpft. Die stärkste christliche Gruppe stellen nach wie vor die Armenier mit 50.000 bis 60.000. Manche Kirchenvertreter gehen allerdings zusätzlich von Zehntausenden sogenannter Krypto-Armenier aus, die ihr Christentum nicht öffentlich leben.
Das Päpstliche Jahrbuch verzeichnet für die Türkei rund 30.000 Katholiken, wobei die römisch-katholischen Christen zumeist zugereiste Ausländer sind. Das Prinzip des Laizismus in der türkischen Verfassung sieht eine strikte Trennung zwischen Religion und Staat sowie Religions- und Kultfreiheit vor. In der Praxis kontrolliert jedoch eine staatliche Behörde für Religiöse Angelegenheiten alle Aktivitäten, die mit dem Islam in Verbindung stehen. Unter der Regierung des heutigen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan hat sich die Lage der Christen in einigen Punkten verbessert; die christlichen Kirchen werden jedoch weiterhin nicht als juristische Person anerkannt.
(KNA - olllk-89-00056)
Christliches Istanbul
Istanbul (KNA) Istanbul heute ist vom Islam geprägt. Zeugen uralter christlicher Tradition finden sich auf Schritt und Tritt: von Konstantinopel, der Stadt der frühchristlichen Konzilien, in denen um Glaubensbekenntnisse gerungen und Schismen besiegelt wurden; von Byzanz, der Stadt des oströmischen Kaisertums, der letzten christlichen Verteidigungsschlacht von 1453, der Stadt der Hagia Sophia, über ein Jahrtausend bedeutendste Kirche der Christenheit.
Noch bis ins 20. Jahrhundert stellten die Christen auf dem Gebiet der heutigen Türkei eine bedeutende Minderheit von etwa 30 Prozent der Bevölkerung; in Istanbul lebten sogar mehrheitlich Nichtmuslime. Durch das Armenier-Massaker während des Ersten Weltkriegs, den griechisch-türkischen Bevölkerungsaustausch im Zuge des Vertrags von Lausanne 1923 und eine für Christen über Jahrzehnte ungünstige Religionspolitik sank ihre Zahl auf landesweit heute nur noch geschätzt 100.000 bis 150.000.
Dennoch gibt es im Stadtgebiet von Istanbul neben etwa 2.000 Moscheen, darunter viele umgewidmete Kirchen, bis heute rund 150 christliche Gotteshäuser: armenische, griechisch-orthodoxe, katholische, syrische, anglikanische und evangelische. Die Gemeinden, oft versteckt, abgelegen und nur in den seltensten Fällen auch von Touristen oder westlichen Pilgern besucht, führen ein bescheidenes Schattendasein. Die italienische Nationalkirche Sant'Antonio, die größte katholische Kirche der Stadt an der Flaniermeile Istiklal Caddesi im Stadtteil Galata, wurde 1908 vom Sultan genehmigt.
(KNA - olllk-89-00024)
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