2014 war kein gutes Jahr für den Nahen Osten
KNA 12.12.2014
Von Andrea Krogmann (KNA)
Jerusalem (KNA) Schlag auf Schlag ging es im Nahen Osten - allzu oft im wörtlichen Sinn. Eine Schreckensmeldung jagte die nächste, eine Chronik von Terror und Gewalt. 2014 war kein gutes Jahr, nicht für das Heilige Land und nicht für den Nahen Osten.
Dabei fing eigentlich alles recht gut an. Zum Jahreswechsel verdichten sich die Hinweise auf hohen Besuch aus Rom: Papst Franziskus werde die Krisenregion im Frühjahr besuchen. Große Hoffnungen knüpfen sich an den unkonventionellen Argentinier. Seine Abweichungen vom Protokoll, so glauben Optimisten, könnten Bewegung in den eingefahrenen Konflikt bringen.
Je näher aber der Reisetermin rückt, desto schärfer wird in Jerusalem und anderen Landesteilen der Ton radikaler Juden gegen die einheimischen Christen. Zu seit längerem um sich greifenden Spuckattacken kommen Vandalismus, Drohungen und körperliche Übergriffe. Auch Moscheen und arabisch-jüdische Begegnungszentren bleiben von dem Hass jüdischer Extremisten nicht verschont.
Gezielt geschürte antichristliche Propaganda und die allgemeine israelische Sicherheitsparanoia dämpfen bei Jerusalems Katholiken die Vorfreude auf den Besuch. Sie werden Franziskus in ihrer eigenen Stadt nicht zu Gesicht bekommen, ihn nicht wie vor 50 Jahren Paul VI. euphorisch durch die engen Gassen begleiten.
Die Nachbarländer Syrien, Jordanien und Libanon kämpfen unterdessen gegen den islamistischen Extremismus und seine dramatischen Folgen: Die Flüchtlingsströme aus Syrien reißen nicht ab und stellen die Gastländer vor eine schier unlösbare Aufgabe. Die Spannungen zwischen den verschiedenen Religionen und Konfessionen gefährden das sensible Gefüge.
Dann kommt der Papst. In Jordanien springt bei seiner Begegnung mit jordanischen, syrischen und irakischen Gläubigen, mit Flüchtlingen und Behinderten der Funke der Begeisterung über. In Bethlehem tut Franziskus das Unerwartete. Er verlässt seine Route und lehnt schweigend seine Stirn an die acht Meter hohe Sperrmauer, die sichtbarste Hürde im Friedensprozess.
Als er während der Messe auf dem Krippenplatz Palästinenserpräsident Mahmud Abbas und Israels scheidenden Staatspräsidenten Schimon Peres zu sich nach Rom einlädt und beide die Einladung annehmen, scheint für einen Moment lang das Undenkbare denkbar.
Im Juni kommt ein neuer Schreckensbegriff auf die Tagesordnung der Welt. Die Terrormiliz "IS", der "Islamische Staat", wird gegründet, mit unabsehbaren Folgen für den Nahen Osten. Brutale Gräueltaten gehören von jetzt an zum Alltag im Irak - und setzen eine weitere Flüchtlingswelle in Gang.
In Israel werden drei jüdische Jugendliche von palästinensischen Attentätern entführt. Als sie Wochen später ermordet aufgefunden werden, springt erneut ein Funke über, diesmal der Funke der Gewalt. Ein junger Palästinenser wird von jüdischen Extremisten bei lebendigem Leib verbrannt; und das ganze Land fängt Feuer.
50 Tage dauert der Gaza-Krieg, mehr als 2.000 Menschen sterben, fast alle sind Palästinenser. Nach unvorstellbarer Brutalität und Zerstörung bringt ein Waffenstillstand vorerst Ruhe an der Gaza-Front. In Jerusalem hingegen vergeht kaum ein Tag ohne Zusammenstöße. Attentate sind die scheinbar zwingende Folge in der sich immer schneller drehenden Gewaltspirale. Islamistisches Gedankengut hat auch den Gazastreifen längst erreicht. Die wenigen verbliebenen Christen sorgen sich um ihre Sicherheit. Im Libanon gewinnt der Terror an Boden, im Irak enthaupten die Kämpfer des "Islamischen Staates" eine Geisel nach der nächsten. Die Rede in Jerusalem ist von einer dritten Intifada, einem Religionskrieg. Eine Prognose für 2015, sagen selbst die größten Optimisten, hat nicht mehr Wert als bis zum Ende des nächsten Tages.
"Es ist Zeit für die Buchhaltung der Seele", sagt der Imam der Al-Jazaar-Moschee in Akko, Scheich Samir Assi. "Wie sind wir an diesen Punkt gelangt? Und was muss noch passieren?" Im Alltag des Nahen Ostens überlagern gegenseitige Schuldzuweisungen und Hetze einer lauten Minderheit die leisen Töne der selbstkritischen Mahner. Eine schnelle Antwort wäre zu viel verlangt. Wenn aber mehr und mehr der schweigenden Masse in das leise Fragen einstimmten, wäre schon viel gewonnen.
(KNA - olmkn-89-00006)
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