Die Türkei macht ernst mit dem Verbot für Alkoholwerbung
KNA 11.06.2014
Von Joachim Heinz (KNA)
Bonn/Istanbul (KNA) Jetzt ist es also amtlich. Seit Mittwoch müssen Restaurantbetreiber und Barbesitzer in der Türkei umdekorieren. Nach einer Übergangsfrist ist Werbung für Alkohol in dem Land gesetzlich verboten - auch Logos von Brauereien oder Weingütern sind tabu. Die konservative Regierung von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan will mit der umstrittenen Maßnahme zur Volksgesundheit beitragen. Kritiker sehen darin einen weiteren Beleg für die schleichende Islamisierung der Türkei: Unter strenggläubigen Muslimen gilt der Genuss von Alkohol als verboten. Dass dem nicht immer so war und bis in unsere Tage hinein nicht so ist, zeigen die Arbeiten zweier Forscher aus Deutschland.
Unabhängig voneinander haben Stefanie Brinkmann und Malte Fuhrmann tief ins Glas der Geschichte geblickt. Dabei fördern der Berliner Orientalist und die Leipziger Islamwissenschaftlerin ausgerechnet am Beispiel Bier einige fein perlende Einsichten zutage und räumen zugleich mit abgestandenen Vorurteilen auf. Manchem bayerischen Biergartenbesucher etwa dürfte es bitter aufstoßen, dass die ältesten Biernationen mitnichten im Geltungsbereich des deutschen Reinheitsgebotes zu suchen sind.
Die Wiege des Gebräus stand in Afrika und im alten Mesopotamien, erläutert Stefanie Brinkmann, die den Alkoholkonsum in der Frühzeit des Islam untersucht. "Der Islam wurde also in eine bestehende Bier-Kultur hineingeboren." Was da in Bechern oder Schalen auf den Märkten ausgeschenkt wurde, war allerdings eine mitunter ziemlich bunte Mischung.
Die orientalischen Braumeister experimentierten offenbar gern mit Gewürzen und Obst, das sie dem gärenden Getreidesud auf Gersten-, Weizen- oder Sorgum-Basis zusetzten. Daraus entstand eine Fülle von regional unterschiedlichen Rezepturen. Etwa das wahrscheinlich aus dem Jemen stammende und später in Ägypten populäre Mizr-Bier oder Fuqqa aus dem iranisch-irakischen Raum. Zwei bis drei Volumenprozent betrug der Alkoholgehalt laut Brinkmann. "Außer, es kam mal Honig ins Spiel." Dann, sagt die Wissenschaftlerin, konnte der Wert mitunter sogar über acht Prozent steigen.
Woher die Expertin ihr Wissen speist? Zum Beispiel aus arabischen Rezepten, medizinischen und geographischen Werken, Gedichten oder Handbüchern für Marktaufseher. Gefragt sind aber auch archäologische Funde aus der Zeit vor dem 10. Jahrhundert, wo die schriftlichen Quellen nur spärlich fließen. Für die Forscherin ein Wermutstropfen, weil sich zwischen dem 7. und 9. Jahrhundert der Islam als Religion herausbildete - und die Diskussion um ein Alkoholverbot ihren Anfang nahm.
Im Koran selbst ist lediglich an vier Stellen von berauschenden Getränken auf Erden die Rede. Ausgangspunkt für die strenge Abkehr von allem, "was den Verstand vernebelt", wurde Sure 5, Vers 90 und 91, die vom Weinkonsum als "Greuel und Teufelswerk" spricht. Strikte Abstinenz hielten jedoch nur die allerwenigsten durch, wie Malte Fuhrmann mit Blick auf das Osmanische Reich zwischen 1830 und 1920 erläutert. Im Gegenteil: Ab Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelte sich vor allem in Istanbul eine höchst lebendige Kneipenszene und auch Großbrauereien. Die größte war ab 1892 die industrielle Brauerei der Schweizer Brüder Bomonti.
Die eidgenössischen Braumeister sind kein Einzelfall: Oft waren es Einwanderer aus Mitteleuropa, die Bier und andere Spezialitäten an den Bosporus brachten. So konnten sich Passanten im Viertel Pera "noch einmal gut deutsch restaurieren", bevor sie ihren Weg in die City fortsetzten. Zu den Pionieren gehörte die 1789 geborene Kärntnerin Anna Forneris, die im Stadtteil Galata bereits 1838 eine Brauerei mit Ausschank betrieb.
Forschung muss nicht immer bierernst sein - kann aber trotzdem zum Nachdenken anregen. "Der Umgang mit Alkohol im Islam schwankte oft zwischen Toleranz und Prohibition", sagt Fuhrmann. Ein Blick in die Geschichte lehrt: Im Osmanischen Reich etwa wechselten sich Zeiten strikter Verbote mit liberalen Phasen ab. Wer weiß, was auf Erdogans "Austrocknungspolitik" folgt? Für den Optimisten jedenfalls ist das Glas halbvoll und nicht halbleer.
(KNA - okqll-89-00052)
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