Bei Christen in Gaza wächst die Angst vor islamistischem Terror
KNA 18.08.2014
Von Karl Peters (KNA)
Gaza (KNA) Offiziell geht es den Christen in Gaza gut. Nicht schlechter jedenfalls als ihren muslimischen Nachbarn und damit so gut, wie es Menschen in einem abgeriegelten Landstrich nach einem mehr als vierwöchigen Krieg und ohne wirkliche Aussicht auf einen baldigen Frieden gehen kann. Offiziell stehen "Christen und Muslime einander sehr nahe, sie gehören derselben Nation an, beide sind Palästinenser", wie jüngst der griechisch-orthodoxe Erzbischof von Gaza, Alexis, betonte. Offiziell gibt es "keine Diskriminierungen", bereitet Religion in Gaza "keine Schwierigkeiten". Der Blick auf das größere Ganze der Nahost-Region sorgt aber längst auch bei Gazas kleiner christlicher Minderheit für Bauchschmerzen.
Angst vor islamistischem Terror gegen Christen wie etwa derzeit unter dem blutigen Regime der Gruppe "Islamischer Staat" (IS) im Irak müsse man in Gaza nicht haben, glaubt Erzbischof Alexis. Und offiziell wird man tatsächlich keine andere Antwort erhalten. Zu groß ist die Angst vor möglichen Konsequenzen. "Wir wissen von keinen Drohungen gegen Christen, nicht als Gemeinschaft", sagt Matthew McGarry, Landesvertreter des katholischen Hilfswerks Catholic Relief Service (CRS). "Christen sind von der Konfliktsituation genauso betroffen wie alle hier." Seine Caritas-Kollegen pflichten ihm bei.
"Eine offene Verfolgung gibt es derzeit nicht in Gaza, weil wir einen gemeinsamen Feind haben: Israel", sagt ein Christ, der anonym bleiben will. Die Probleme im Alltag seien für alle gleich: fehlende Sicherheit, Arbeitslosigkeit, schlechte Wirtschaftslage, die Folgen von Krieg und Besatzung. Das existenzielle Problem der Christen sei aber ein anderes: nämlich die Ideologie, die sich daraus entwickelt. Das Klima habe sich bereits verändert.
Neben der Hamas haben längst radikalere Kräfte wie Islamischer Dschihad, Muslimbrüder und IS in Gaza Fuß gefasst. Forderungen nach Auswanderung der Christen, nach Zwangsübertritt zum Islam, einer Kopfsteuer für Nicht-Muslime und Todesdrohungen für jene, die sich weigern, seien "längst Teil des öffentlichen Diskurses", heißt es hinter vorgehaltener Hand. Zusätzlich zur Gefahr, ins Feuer einer der beiden Kriegsparteien zu geraten, wächst bei den Christen die Angst vor Spionagevorwürfen. Schon der falsche Telefonanbieter könne ausreichen, so heißt es, damit Hamas kurzen Prozess mit einem mache.
Die Hilfsorganisation "Open Doors" dokumentiert jährlich die Religionsfreiheit für Christen mit einem Weltverfolgungsindex. Danach schneiden die Palästinensergebiete in diesem Jahr noch zwei Plätze schlechter ab als im Vorjahr: Rang 34 der Länder mit der größten Christenverfolgung. Als Hauptursache nennt Open Doors eine "wachsende Radikalisierung der Muslime". Allein das Wort "Christenverfolgung" ist freilich ein Tabu in Gaza. Dabei beklagten schon im Gaza-Krieg 2012 viele Christen zunehmende religiöse Intoleranz und eine wachsende Islamisierung des politisch zerrissenen Landstrichs. Forderungen nach strikter Geschlechtertrennung im Bildungswesen etwa, die bei ihrer Umsetzung vor allem die christlichen Schulen als einzige gemischtgeschlechtliche Lehranstalten träfen, sind nicht neu; ebenso Warnungen radikalislamischer Gruppierungen vor interreligiösen Kontakten. Sorgenvoll gingen die Blicke der Christen in den vergangenen Jahren nach Syrien und Ägypten. Was von dort - und zuletzt besonders dramatisch aus dem Einzugsgebiet der sunnitischen "IS"-Milizen - an Nachrichten kommt, ist wenig beruhigend.
In Gaza hat sich die Zahl der Christen mittlerweile auf rund 1.300 reduziert, die der Katholiken laut Schätzungen seit 2005 durch Abwanderung mehr als halbiert. 170 Katholiken gibt es dort derzeit noch. Eine verschwindende Minderheit unter den geschätzt 1,8 Millionen Bewohnern des Gazastreifens. Wie lange der "gemeinsame Feind Israel" als Schutzschild der verbliebenen Christen in Gaza angesichts der sich verschärfenden Großwetterlage in Nahost noch hält, ist ungewiss.
(KNA - okslp-89-00085)
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