Irakische Christen im Libanon wollen raus aus Nahost
KNA 23.09.2014
Von Andrea Krogmann (KNA)
Beirut (KNA) Der Fernseher läuft. "Der Herr ist meine Stärke und mein Schild", flackert ein Schriftband über das wackelige Bild des irakisch-christlichen Senders, dann die Geschichte vom Auszug aus Ägypten. Der Fernseher läuft in einer karg möblierten Wohnung im Beiruter Stadtviertel Bauchrieh. Hier wohnen vier Erwachsene, sieben Kinder, verteilt auf zwei Sofas und ein paar Plastikstühle. Kein Bild, nichts Persönliches ziert die kahlen Wände. Auf das flimmernde Fernsehbild achtet keiner. Die Gedanken der Anwesenden gelten dem eigenen Exodus. Wegen ihres Glaubens an ihren Herrn Jesus Christus mussten sie aus dem Irak fliehen. Vorerst sind sie im Libanon in Sicherheit. Aber sie wollen weiter, in den Westen, das gelobte Land. Zurück in den Irak? Wortlos zeigt Manhal Ramzi Boutros auf das Display seines Telefons. Der Film zeigt Tel Skuf, sein Heimatdorf im Nordirak, nach dem Einmarsch des "Islamischen Staat" (IS). Sein Finger tippt auf das Bild eines zerstörten Straßenzugs, "unser Haus". "Meine Kinder sagen: 'Wir haben IS nichts getan, warum töten sie uns?' Wenn sie größer sind, werden sie mich fragen: 'Warum hast du uns in diesem Irak in die Welt gesetzt?' Was soll ich ihnen dann erzählen?"
Manhal Ramzi Boutros' Exodus hat lange vor dem IS begonnen. Viermal hat er in den letzten Jahren wegen Krieg und Verfolgung den Ort gewechselt. Zuletzt nach Erbil, zusammen mit 9.000 weiteren Familien, die in derselben Nacht vor den naherückenden Bombenexplosionen geflohen sind, allen Besitz zurücklassend. Nein, zurück will Manhal Ramzi Boutros nicht, "nie wieder". "Wir Christen haben den Irak gemacht. Jetzt gibt es im Irak kein Leben mehr." Manhal Ramzi Boutros spricht von Christus, dem Licht der Welt, der Wahrheit und dem Leben. "IS bringt den Tod."
Einige Häuser weiter riecht es nach Essen. Der jüdische Historiker Timothy Naftali erklärt für den National-Geographic-Kanal den Zweiten Weltkrieg. Sechs Männer und fünf Kinder drängen sich um den Tisch im engen Wohnzimmer, auch sie aus Tel Skuf. Man kennt sich, "von klein auf", und hat dasselbe durchgemacht. Vier, fünf Mal sind sie als Binnenflüchtlinge durch den Irak geirrt, sagen die Männer aus Tel Skuf, "alle paar Jahre wiederholt sich die Geschichte".
Jetzt warten sie. Auf die Registrierung beim Flüchtlingshilfswerk der UN. Auf die verschiedenen Gespräche vor den UN-Mitarbeitern, die darüber entscheiden werden, ob und wenn ja wohin sie ausreisen dürfen. Auf einen Termin bei der Botschaft. Auf das Ausreisevisum für ein Leben "in Frieden, Freiheit, Demokratie und Gerechtigkeit - alles, was es im Irak nie gab". Vier bis fünf Monate vergehen meistens zwischen den einzelnen Etappen. Dass ihre Patriarchen sie zum Bleiben aufrufen, stößt bei Manhal Ramzi Boutros und seinen Nachbarn auf Unverständnis: "Die Kirche schützt uns nicht. Aber gehen lassen sie uns auch nicht."
Ein paar Straßenzüge weiter wartet Munira, geflohen aus Karakosch vor zwei Wochen, nachdem zwei Nachbarskinder von den IS-Milizen getötet wurden. Mit der Andeutung eines Lächelns stellt sie ihre Kinder vor: "Mariam, Yousef und Issa - Maria, Josef und Jesus -, meine heilige Familie." Die Flucht haben sie mit dem Verkauf ihrer goldenen Kreuzanhänger finanziert. Im Radio läuft ein Schlager, "Kommt, gehen wir in den Libanon, trinken wir Arrak und amüsieren uns".
Munira weiß nicht einmal, wie sie im Libanon die teure Miete zahlen soll. "Wenn wir in zehn Tagen das Geld nicht aufgebracht haben, stehen wir auf der Straße." Wie die Zukunft aussehe? Munira malt mit dem Finger ein großes Fragezeichen in die Luft. "Wenn wir zurückgehen, werden sie uns einen nach dem anderen töten. Die Islamisten haben ein schwarzes Herz." Wenn sie kann, will auch sie Nahost den Rücken kehren, "weil im Westen Freiheit herrscht", weil es "dort Gerechtigkeit gibt und alle gleich sind vor dem Gesetz", weil es Häuser gibt, Arbeit und finanzielle Unterstützung. Hier, sagt sie, gibt es keine Zukunft, nicht für sie, und, noch viel schlimmer, nicht für ihre Kinder. Denn die Familie ist heilig.
(KNA - oktmn-89-00020)
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