Marseille ohne Krippe? - Laizistische Erziehungstipps zum Advent
KNA 27.11.2015
Da lachen ja die Muslime
Marseille ohne Krippe? - Laizistische Erziehungstipps zum Advent
Von Alexander Brüggemann (KNA)
Paris/Marseille (KNA) Frankreich ist eine geplagte Nation in diesen Tagen. Der islamistische Terror in Paris hat Angst und Schrecken verbreitet. Christen, Muslime und Nichtglaubende fühlen sich gleichermaßen unwohl in ihrer Haut. Da kommen Advents- und Weihnachtsbrauchtum eigentlich eher ungelegen. Die Verschämtheit allerdings, mit der der französische Laizismus mit dem Kern seiner einstigen Staatsreligion umgeht, kann kein Gläubiger - ob Christ oder Muslim - ernst nehmen.
Pünktlich zum Ersten Advent ist die Diskussion um Weihnachtskrippen in öffentlichen Gebäuden neu entflammt. Ein Leitfaden zum "guten laizistischen Handeln", den die Vereinigung der französischen Bürgermeister veröffentlichte, empfiehlt unter anderem, in Rathäusern keine Krippen aufzustellen.
2014 hatte ein Gericht in Nantes untersagt, eine Krippe in den Räumen des Generalrats im Depar-tement Vendee aufzustellen. Die Richter verwiesen auf Frankreichs laizistisches Staatsverständnis und das Gesetz zur Trennung von Staat und Kirche aus dem Jahr 1905. Jedes religiöse Zeichen oder Symbol im öffentlichen Raum mit Ausnahme von Kirchen, Friedhöfen oder Museen ist demnach untersagt.
Nizzas konservativer Bürgermeister Christian Estrosi zeigt sich empört: Er werde die Krippentradition verteidigen. Sie gehöre zum Erbe der Franzosen, unabhängig von ihrem religiösen Bekenntnis - ebenso wie Malerei, Musik oder Skulpturen, die von der Bibel inspiriert seien.
Es ist das scheinbar unauflösliche Spannungsfeld zwischen Laizität und Laizismus: Nutzt der französische Staat seine weltanschauliche Neutralität, um freie Religionsausübung positiv zu schützen und zu begünstigen? Oder definiert er den öffentlichen Raum tendenziell als frei von jedem religiösem Bekenntnis? Die teils widersprüchlichen Urteile französischer Gerichte, etwa zum Tragen religiöser Symbole, spiegeln die gesellschaftliche wie behördliche Verunsicherung.
Eine Verunsicherung, für die auch Staatspräsident Francois Hollande steht. Nach allerlei bürokratischer Demolierung bürgerlicher Werte in den vergangenen Jahren versucht sich der Sozialist gerade als Terrorbekämpfer mit neuer, staatsmännischer Statur. Die Anschläge von Paris sind angesichts zuletzt katastrophaler Umfragewerte zugleich seine vielleicht letzte Chance für den Wahlkampf 2017. Das Dilemma: Hollande wird als intakter politischer Akteur gebraucht, um weiter ein Motor in Europa sein zu können. Wenn er aber intakt ist, produzieren seine Behörden "politisch korrekte" Richtlinien wie das Krippen- oder das Schweinefleischverbot in Schulkantinen. Mit rund 4 Millionen sind Muslime unter den 66 Millionen Bürgern Frankreichs die zweitgrößte Religi-onsgemeinschaft nach dem Christentum. Schon seit langem wird um verpflichtende Halal-Menüs in Kantinen gerungen. Als Alternative sind inzwischen Pflicht-Veggies in der Diskussion.
In solcherlei Disputen radikalisieren sich in Frankreich die verschiedenen Standpunkte immer sofort, wie der Publizist Jerome Anciberro betont. Es gebe "ein totales Unverständnis zwischen den La-gern". Tatsächlich verschwindet die christliche Kultur Frankreichs sehr schnell - schneller als an-derswo in Europa.
"Wenn ich in Deutschland jemanden frage, was Ostern oder Auferstehung bedeutet, wissen es die meisten noch so ungefähr", meint Anciberro. In Frankreich könnten es vielleicht noch drei von zehn Leuten erklären. Es entsteht eine von Klischees geprägte Außenansicht auf die Kirche. "Deshalb verstehen die meisten auch nicht, was die Kirche sagen will", so der Publizist. "Alles, was von der Kirche kommt, ist ihnen fremd und in ihren Augen radikal."
Einige schwere Niederlagen in gesellschaftlichen Fragen, etwa bei der Opposition gegen die "Homo-Ehe" und in bioethischen Fragen, haben die Stellung der katholischen Kirche bei den Franzosen nicht gerade verbessert. Die soziale Veränderung vollzieht sich rasend schnell. Zwischen Terrorismus und Halal, zwischen Laizismus und Front National, zwischen Kriegsgetöse und der Suche nach dem starken Mann bleibt wenig Platz für ein Kind in der Krippe.
(KNA - pllmq-89-00094)
Islam in Frankreich
Paris (KNA) Mit rund 4 Millionen sind Muslime unter den 66 Millionen Bürgern Frankreichs die zweit-größte Religionsgemeinschaft nach dem Christentum. Angaben zur genauen Zahl variieren. Viele Muslime sind Einwanderer aus den ehemaligen französischen Kolonien in Nordafrika, etwa Algerien, Marokko und Tunesien. Als Zentren des Islam gelten in Frankreich unter anderem die Vorstädte von Paris sowie Lyon, Straßburg und Marseille.
Vertreten werden die französischen Muslime unter anderem durch den 2003 gegründeten islamischen Dachverband "Conseil francais du culte musulman" (CFCM). Der CFCM wirkt unter anderem beim Moscheebau mit und ist zuständig für die Einsetzung der Muftis von Paris und Marseille. Außerdem legt er die Fastentage im Monat Ramadan fest.
Aufgrund der strikten laizistischen Trennung von Kirche und Staat in Frankreich ist das Tragen von Kopftüchern an staatlichen Behörden, Schulen und Universitäten verboten. Seit April 2011 ist auch eine Vollverschleierung in der Öffentlichkeit untersagt; sie wird mit 150 Euro Bußgeld geahndet. Zu-dem können Frauen, die auf öffentlichen Plätzen den islamischen Ganzkörperschleier tragen, zu einem Kurs in Staatsbürgerkunde verurteilt werden.
Nicht nur religiöse Kleidervorschriften, auch islamische Speiseregeln sorgten in Frankreich in der Vergangenheit für hitzige Debatten. Bei Wertedebatten zu Familie und Sexualität zeigten sich zuletzt jedoch auch gemeinsame Nenner von Muslimen und konservativen Christen im Land. Bei der Protestbewegung "Manif pour tous" gegen die Einführung der sogenannten Homo-Ehe gingen Muslime wie Christen zusammen auf die Straße.
(KNA - pllmr-89-00058)
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