Reaktionen auf den Anschlag in Paris (zwei Tage danach)
KNA 09.01.2015
Religionen rufen zu Toleranz auf - Neue Koranauslegung gefordert
Bonn (KNA) Nach dem Terroranschlag von Paris haben Vertreter der drei großen Religionen in Deutschland am Freitag zu Toleranz aufgerufen und vor Racheakten gewarnt. Zugleich kritisierten muslimische und christliche Theologen eine rückständige Interpretation des Koran.
"Im Namen Gottes darf nicht getötet werden", schreiben ranghohe Vertreter von Katholiken, evangelischer Kirche, Juden und Muslimen in dem in der "Bild"-Zeitung veröffentlichten Manifest. "Bibel, Thora und Koran sind Bücher der Liebe, nicht des Hasses".
Die Morde von Paris seien "ein Angriff auf die Freiheit des Denkens, des Glaubens und unserer gemeinsamen Werte von Toleranz und Nächstenliebe, den wir zutiefst verabscheuen", schreiben der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Alois Glück, der ehemalige evangelische Berliner Bischof und EKD-Ratsvorsitzende Wolfgang Huber, Aiman Mazyek vom Zentralrat der Muslime in Deutschland, die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde Münchens und Oberbayerns Charlotte Knobloch und Stephan Kramer, früherer Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland.
Auch der Gesprächskreis "Christen und Muslime" beim ZdK verurteilte den Überfall. Es handele sich auch um "einen Anschlag auf die Pressefreiheit und den gesellschaftlichen Frieden", heißt es in einer in Bonn veröffentlichten Erklärung. Zugleich zeigt sich der Gesprächskreis besorgt über die Rückwirkungen des extremistischen Terrors auf das Bild des Islam und die christlich-islamische Dialogarbeit. "Populistische, rassistische und extremistische Bewegungen und Parteien" versuchten derzeit, die Wut und Angst vieler Menschen zu instrumentalisieren. "Als Christen und Muslime sind wir Partner in einer pluralistischen Gesellschaft."
Der islamische Theologe Mouhanad Khorchide kritisierte unterdessen eine rückständige Lesart des Koran. "Wir muslimischen Theologen bekämpfen sie, und sie bekämpft uns. Aber man darf nicht sagen: Das ist der ganze Islam", sagte der Münsteraner Professor dem Bonner "General Anzeiger" (Freitag).
Es gebe viele andere Lesarten und Schulen des Islam, die mit pluraler Gesellschaft und Rechtsstaat vereinbar seien, fügte der Leiter des Zentrums für Islamische Theologie hinzu. Der Koran lasse viel Raum für Interpretationen. Er könne nur lebendig erhalten werden, wenn er immer wieder neu in der jeweiligen aktuellen Situation befragt werde. Um den gewaltbereiten Positionen von Salafisten entgegenzutreten, sei ein "aufgeklärter Diskurs von unten" nötig, so Khorchide.
Die Bonner Islamwissenschaftlerin Christine Schirrmacher forderte eine drastische Reform der islamischen Theologie. "So lange die Kampfaufrufe Mohammeds und der Kalifen nicht für alle Zeiten für ungültig erklärt werden, wird der Islam sein Gewaltproblem nicht loswerden", sagte die Protestantin der in Düsseldorf erscheinenden "Rheinischen Post".
Die frühere Islambeauftragte der SPD im Bundestag, Lale Akgün, sagte im Deutschlandfunk, es gebe in Deutschland eine eher konservative Auslegung des Koran, die von den gut organisierten Verbänden verbreitet werde. Stattdessen müssten die liberalen Muslime gestärkt werden. Von der wortwörtlichen Auslegung sollten sich die Muslime aber lösen. Der Koran müsse als historische Schrift verstanden werden. Sonst sei der Islam nicht überlebensfähig.
Die SPD-Politikerin sieht Probleme wegen einer zunehmenden Islamisierung der Türkei. "Da die Türkei im Moment sich politisch immer mehr islamisiert, haben wir natürlich auch mit den Auswirkungen hier in Deutschland zu kämpfen", sagte sie. Auch in der Bundesrepublik gebe es eine große konservative Gruppe von Türken, die sich mit der Politik des türkischen Präsidenten Erdogan identifiziere.
(KNA - pklkt-89-00064)
Zentralrat der Muslime ruft zu Mahnwachen auf
Köln (KNA) Der Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD) ruft für Montag zu Mahnwachen gegen Gewalt und für ein weltoffenes und tolerantes Deutschland auf. Mit den anderen islamischen Religionsgemeinschaften sei eine solche Veranstaltung am Brandenburger Tor geplant, teilte der ZMD am Freitag in Köln mit.
Der Anschlag von Paris werde auch in den heutigen Freitagspredigten der Gemeinden des ZMD im Mittelpunkt stehen, so der Zentralrat. Die Imame wollten den Missbrauch von Gewalt im Namen des Islam verurteilen und der Opfer und Hinterbliebenen gedenken.
"Wir dürfen nicht zulassen, dass unsere Gesellschaft von Extremisten hüben wie drüben auseinandergerissen wird, denn beide haben das Ziel, Hass und Zwietracht zu stiften", sagte der ZMD-Vorsitzende Aiman Mazyek. "Dagegen müssen wir als Muslime und Nichtmuslime in der Mitte der Gesellschaft für die Demokratie zusammenstehen und Gesicht zeigen."
(KNA - pklkt-89-00081)
Frankreichs Muslime gedenken bei Freitagsgebeten der Opfer
Paris/Riga (KNA) In den rund 2.300 Moscheen des Landes gedenken Muslime in Frankreich an diesem Freitag der Opfer des Anschlags auf das Satiremagazin "Charlie Hebdo". Islamvertreter unter Führung des französischen Islamrates CFCM hatten an die Imame des Landes appelliert, in ihren Freitagspredigten Gewalt und Terrorismus zu verurteilen und eine Schweigeminute für die Opfer einzulegen.
In einem Interview des Rundfunksenders i-Tele vom Donnerstagabend betonten der Vizepräsident des Islamrates, Anouar Kbibech, und der Präsident der Vereinigung der islamischen Organisationen Frankreichs (UOIF), Amar Lasfar, es sei notwendig, "laut herauszuschreien", dass all dies nichts mit dem Islam zu tun habe.
Der Schriftsteller Michel Houellebecq kündigte unterdessen an, seinen islamkritischen Roman "Soumission" (Unterwerfung) zunächst nicht mehr bewerben zu wollen. Er sei tief betroffen angesichts des Attentats auf das Satiremagazin. In seinem umstrittenen Buch beschreibt Houellebecq das Leben in Frankreich unter einem muslimischen Staatspräsidenten. Die "Charlie Hebdo"-Ausgabe vom Mittwoch, dem Tag des Attentats, hatte eine Karikatur des Autors auf der Titelseite.
Die EU-Staats- und Regierungschefs wollen am 12. Februar bei einem Gipfel über den Kampf gegen den Terrorismus beraten. Das teilte der EU-Ratsvorsitzende Donald Tusk am Freitag in der lettischen Hauptstadt Riga mit.
Am Donnerstagabend waren in Paris erneut Tausende Menschen gegen den Terror auf die Straße gegangen. Medienberichten zufolge versammelten sie sich am frühen Abend zu einem stummen Protest gegen den Terroranschlag. Zum Gedenken an die Opfer gingen um 20.00 Uhr die Lichter am Eiffelturm aus.
(KNA - pklkt-89-00027)
Frankreichs Religionsvertreter rufen zu Solidarität auf
Paris (KNA) Nach dem Anschlag auf das Satiremagazin "Charlie Hebdo" haben Vertreter aller Religionen in Frankreich gesellschaftliche Solidarität gefordert. Bei einem Treffen zahlreicher Islam-Organisationen, das am Donnerstag in der Großen Moschee von Paris stattfand, riefen islamische Vertreter die französischen Muslime auf, beim Freitagsgebet eine Schweigeminute für die Opfer des Terroranschlags abzuhalten.
Alle französischen Muslime sollten sich zudem der für das Wochenende geplanten nationalen Friedensdemonstration anschließen, hieß es in einer Erklärung der Versammlung, die unter Federführung des französischen Islamrats CFCM stattfand. Dabei sollten sie ihren Wunsch nach einem friedlichen Zusammenleben und nach Respekt für die Werte des Landes zum Ausdruck bringen.
Die Vereinigung führender französischer Religionsvertreter (CRCF) rief am Donnerstag nach einer turnusmäßigen Versammlung ebenfalls in der Großen Moschee von Paris zu einer gemeinsamen Fastenzeit auf. Jeder solle nach seiner eigenen religiösen Tradition fasten, hieß es. Die Religionsvertreter des CRCF, zu denen sowohl islamische, christliche, orthodoxe, jüdische und buddhistische Mitglieder gehören, appellierten "an das Gewissen und das Engagement aller Bürger" die "Werte der Republik" zu verteidigen und eine Kultur des Dialogs fortsetzen. Zu den katholischen Vertretern gehört der Vorsitzende der Französischen Bischofskonferenz, Georges Pontier.
Nach einer Begegnung mit Papst Franziskus in Rom rief der Rektor der Großen Moschee von Bordeaux, Tareq Oubrou, seine Glaubensbrüder in Frankreich zu Massendemonstrationen auf. "Der gesellschaftliche Friede ist bedroht", betonte er. Frankreichs Muslime müssten auf die Straße gehen, um ihre Abscheu angesichts dieses Verbrechens kundzutun. Oubrou ist einer von vier französischen Islamgelehrten, die am Mittwoch zu einer interreligiösen Begegnung mit dem Papst nach Rom gekommen waren.
Der Pariser Erzbischof, Kardinal Andre Vingt-Trois, der sich derzeit in Rom aufhält, verurteilte "gemeinsam mit allen Pariser Katholiken" die "barbarische Tat". Zugleich rief er dazu auf, sich in der Gesellschaft "mehr denn je" für gegenseitigen Respekt und Frieden einzusetzen.
Einen anderen Ton schlug die Vorsitzende der nationalistischen Partei Front National (FN), Marine Le Pen, an. "Frankreich muss ab sofort Krieg führen gegen den islamistischen Fundamentalismus", erklärte sie. Darüber hinaus verlangte sie mit Blick auf die Attentäter die Wiedereinführung der Todesstrafe.
Mit Glockengeläut hatte Frankreich am Mittag der Opfer des Anschlags gedacht. Um 12.00 Uhr läuteten in zahlreiche Kirchen im Land die Glocken, so auch in der Pariser Kathedrale Notre Dame. Eine anschließende Messe war den zwölf Todesopfern und ihren Familien gewidmet. Zudem fanden nach Angaben der Französischen Bischofskonferenz den ganzen Tag über in vielen Pariser Kirchen Friedensgebete statt.
(KNA - pklks-89-00172)
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