"Mesut Özil reicht nicht" Muslimische Vertreter diskutieren mit dem Bundespräsidenten
KNA 21.01.2015
Von Birgit Wilke (KNA)
Berlin (KNA) Für den Psychologen und Autor Ahmad Mansour ist es ganz klar: Ein wichtiger Baustein, um eine Radikalisierung muslimischer Jugendlicher zu verhindern, sind neue pädagogische Konzepte. "Es kann nicht sein, dass Lehrer in den Schulen über den Nationalsozialismus sprechen und dabei Menschen mit Migrationshintergrund oft nicht erreichen", erklärte Mansour. Für diese sei häufig nicht klar, was das mit ihnen zu tun habe, so der Islam-Experte, der sich auch mit islamistischem Antisemitismus beschäftigt. Wichtig sei auch, im Unterricht etwa den Nahost-Konflikt zu thematisieren.
Mansour war einer von 45 Teilnehmern, die Bundespräsident Joachim Gauck am Mittwoch in das Schloss Bellevue eingeladen hatte. Zwei Wochen nach dem Anschlag auf das französische Satiremagazin "Charlie Hebdo" in Paris diskutierte er vor allem mit muslimischen Vertretern von Initiativen, die das friedliche Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Herkunft stärken wollen. Dabei waren aber auch jüdische und christliche Teilnehmer sowie der Kriminalist Bernd Wagner, der als Mit-Initiator von "Exit-Deutschland" Aussteiger aus der rechtsextremen Szene berät, und der Journalist Olaf Sundermeyer, der sich mit der Gruppierung "Hooligans gegen Salafisten" beschäftigt.
In seiner Begrüßung appellierte Gauck zunächst für einen größeren Zusammenhalt von Menschen mit verschiedenen Wurzeln. Wenn Menschen verschiedener politischer Überzeugungen, verschiedener Abstammungen und Religionszugehörigkeiten die Begegnung bewusst suchten, würden sie Vertrauen zueinander aufbauen, meinte der Bundespräsident. "Sie werden lernen, sich aufeinander zu verlassen."
Dass es bis dahin noch ein weiter weg ist, betonte die muslimische Religionspädagogin Lamya Kaddor. Sie sprach auch vom Versagen Deutschlands als Einwanderungsgesellschaft und von lange Zeit fehlenden Integrationskonzepten. Sie sei sicher, dass jeder Muslim in Deutschland mindestens Diskriminierung erfahren habe. Es fehle an Leitbildern für diese Menschen - und "kommen Sie mir jetzt nicht mit Mesut Özil", so Kaddor.
Sie vermisse es, dass Deutsch-Sein und Muslimisch-Sein sich für viele immer noch ausschlössen. Ihre noch sehr kleinen Kinder fühlten sich als Deutsche. Sie hoffe nicht, dass sie sich in zehn Jahren beim Lesen von Zeitungen in eine Opferrolle gedrängt fühlten.
Zugleich rief sie dazu auf, nicht hysterisch zu werden. "Wir müssen besonnen bleiben", so Kaddor. Vieles laufe gut: Sehr zufrieden sei sie etwa mit dem islamischen Religionsunterricht, der jetzt an immer mehr Schulen angeboten werde. Dieser böte auch die Chance, Radikalisierungstendenzen frühzeitig zu erkennen.
Ein junger Muslim aus Dresden warnte davor, nur auf gewaltbereite Islamisten zu blicken. Es gebe auch radikale Evangelikale, betonte er. Zugleich zeigte er ein gewisses Verständnis für junge Teilnehmer der islamkritische Pegida-Demonstrationen. Er habe mit einigen von ihnen geredet. Es zeige sich, dass diese sich nicht ernst genommen und diskriminiert fühlten. Er warb dafür, einer "gesellschaftlichen Kälte" entgegenzuwirken.
Der Journalist Sundermeyer forderte Fußballvereine auf, Hooligans bei ihren Fanclubs stärker entgegenzuwirken. Fans von Dynamo Dresden fänden sich häufig bei den Pegida-Demonstrationen wieder. "Das sind keine zufälligen Mitläufer", so Sundermeyer. Sie gehörten zum Konzept.
Wie viele Teilnehmer warb auch der Rabbiner Daniel Alter für eine bessere Vermittlung von demokratischen Werten und religiösem Verständnis bei Kindern und Jugendlichen. "Gerade beim Thema Antisemitismus brennt es in vielen Schulen", so Alter. Hier hätten Initiativen gute Konzepte, die besser gefördert werden müssten.
Die evangelische Pfarrerin Dagmar Apel von der Berliner Passionsgemeinde plädierte für lokale Runde Tische, bei denen die Teilnehmer verschiedener Religionsgemeinschaften praktisch über Werte diskutieren sollten. In ihrer eigenen Gemeinde fänden derzeit regelmäßig Friedensgebete statt.
Die Moderatorin Shelly Kupferberg, die in Berlin unter anderem die Jüdischen Kulturtage mitorganisiert, versprach eine Fortsetzung des Dialogs. Die Veranstaltung solle keine "Eintagsfliege" sein.
(KNA - pklml-89-00180)
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