Die Türkei und der Vatikan - Eine Chronologie
KNA 13.04.2015
Ankara/Vatikanstadt (KNA) Papst Franziskus hat mit seiner Äußerung zum Genozid an den Armeniern - wie zu erwarten - scharfe türkische Reaktionen ausgelöst. Die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) zeichnet wichtige Stationen zwischen dem Vatikan und der Türkei seit 1915 nach.
1915: Papst Benedikt XV. (1914-1922) interveniert vergeblich bei Sultan Mehmet V. gegen die Gewalttaten an den Armeniern. Er bittet den Sultan um "Mitleid mit dem Schicksal [...] des schwer bedrängten armenischen Volkes, das an den Rand der Vernichtung gebracht wurde". Die türkische Regierung verzögert die Überbringung des Briefes, bis die Deportationen und Massaker weitgehend abgeschlossen sind.
1918: nach weiteren Ausschreitungen gegen Armenier im Osten des Osmanischen Reiches interveniert der Papst erneut beim Sultan. Er beauftragt den Nuntius in Deutschland, Eugenio Pacelli, den späteren Papst Pius XII., bei der Regierung in Berlin zugunsten der Armenier vorzusprechen. Das Deutsche Reich ist damals der wichtigste Verbündete der Osmanen Reiches. Doch Berlin schweigt.
1921: In Istanbul wird, noch wenige Wochen vor seinem Tod, ein Denkmal für den Friedenspapst Benedikt XV. aufgestellt. Es erinnert an seine vielfältigen humanitären Hilfsleistungen für die Notleidenden und an seine unermüdlichen, letztlich vergeblichen diplomatischen Bemühungen, die kämpfenden Mächte Europas zu einem Frieden zu bewegen. Die Inschrift lobt den "großen Papst der Welttragödie Benedikt XV. - Wohltäter der Völker ohne Unterschied der Nationalität und Religion, zum Zeichen der Dankbarkeit des Orients (1914-1919)".
1934: Der streng laizistische Staatsgründer der Türkischen Republik Mustafa Kemal Atatürk wandelt die Hagia Sophia (griechisch: "Heilige Weisheit"), bis 1453 die Hauptkirche des orthodoxen Christentums und danach Moschee, in ein Museum um.
1935-1944: Angelo Giuseppe Roncalli, der spätere Papst Johannes XXIII. (1958-1963), erwirbt sich als Vatikangesandter für die Türkei und Bulgarien mit Sitz in Ankara durch seine Offenheit und Dialogbereitschaft Respekt und Freundschaft.
1960: Unter Johannes XXIII. nehmen die Türkei und der Vatikan volle diplomatische Beziehungen auf.
1962-1965: Zweites Vatikanisches Konzil. Tauwetter in der Ökumene und Aufnahme eines interreligiösen Dialoges.
1964: Historische Zusammenkunft von Papst Paul VI. (1963-1978) und Patriarch Athenagoras in Jerusalem.
1965: Aufhebung des gegenseitigen Kirchenbanns zwischen Rom und Konstantinopel nach mehr als 900 Jahren (1054).
1967: Paul VI. reist als erster Papst der Neuzeit in die Türkei. In der Hagia Sophia kniet er zum Gebet nieder und bringt damit den türkischen Außenminister in Verlegenheit.
1979: Johannes Paul II. (1978-2005) reist in die Türkei, ein Jahr vor dem Militärputsch und der Verhängung des Kriegsrechts.
2001: Die Anschläge vom 11. September 2001 trüben das gesellschaftliche Klima zwischen der christlichen und der islamischen Welt ein. Religionsführer, allen voran Papst Johannes Paul II., verurteilen jede Anwendung von Gewalt im Namen von Religion.
2006: Papst Benedikt XVI. (2005-2013) sorgt mit einer Vorlesung an der Universität Regensburg für eine weltweite Diskussion. Muslime sehen durch ein historisches Zitat den Propheten Mohammed beleidigt. Mit einer Dialog-Offensive und einer erfolgreichen Papstreise in die Türkei Ende 2006 glättet der Vatikan die Wogen. Um die Welt geht eine Gebetsgeste des Papstes in der Blauen Moschee.
2013: Drei Monate nach seinem Amtsantritt bezeichnet Papst Franziskus die Vertreibung der Armenier in einem privaten Gespräch, das später publik wird, als "ersten Genozid des 20. Jahrhunderts". Die Türkei legt offiziell Protest ein; die Äußerung sei "absolut inakzeptabel". Schon als Erzbischof von Buenos Aires hatte der heutige Papst keinen Hehl daraus gemacht, dass er die Vertreibung als Völkermord betrachtet.
2014: Franziskus besucht als vierter Papst der Neuzeit die Türkei. In Ankara trifft er mit Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan zusammen. In Istanbul betritt er erstmals in seiner Amtszeit als Papst eine Moschee und betet dort. Weitere Höhepunkte sind seine Begegnungen mit dem Ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel, Bartholomaios I. Die türkische Seite lobt sein bescheidenes Auftreten, den Verzicht auf einen erhobenen Zeigefinger und seine Gesten des Respekts vor dem Islam. Erdogan erklärt, er sei sich in allen wichtigen Fragen mit dem Papst einig.
2015: Bei einem Gottesdienst mit mehreren tausend Armeniern bezeichnet Franziskus die Verfolgung der Armenier während des Ersten Weltkriegs in einer offiziellen Rede als "ersten Genozid des 20. Jahrhunderts". Die Türkei protestiert scharf. Sie zieht ihren Botschafter beim Heiligen Stuhl ab und bestellt den Vatikanbotschafter in Ankara ein. Außenminister Mevlüt Cavusoglu wirft dem Papst vor, mit seiner Äußerung "Feindschaft und Hass" zu schüren.
(KNA - pkoln-89-00098)
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