Vertriebene Christen im Irak brauchen langen Atem
KNA 06.08.2015
Ein Jahr und kein Zurück
Vertriebene Christen im Irak brauchen langen Atem
Von Burkhard Jürgens (KNA)
Sulaimaniya (KNA) Der verfluchte 6. August: An diesem Abend vor einem Jahr brach das Böse unter der schwarzen Flagge des "Islamischen Staats" über die Christen in Karakosch und den umliegenden Orten herein. Zu Tausenden flohen sie nach Osten. Etliche landeten in der Kurdenstadt Sulai-maniya, rund 200 allein in einem Kloster. Anfangs hofften sie, der Spuk werde bald vorbei sein. "Weihnachten wieder in Karakosch", hieß es. Doch jetzt sieht es eher nach Bleiben aus.
Ein untrügliches Zeichen dafür sind die Wohncontainer, die in diesen Tagen geliefert werden. Bislang kampierten die Vertriebenen im Kloster selbst oder in umliegenden Häusern; rund 50 schlugen ihr Lager direkt in der Kirche auf, die Familien nur durch einen Sichtschutz aus grün-weißen Stoffbahnen getrennt. Für alle gab es nur eine Küche, eine Toilette; eine zermürbende Wohnsituation. Die neuen Behelfswohnungen kommen in eine Baulücke in der Nachbarschaft, gemietet für zwei Jahre - zunächst.
War im Frühjahr noch von einer Großoffensive gegen den "Islamischen Staat" (IS) die Rede, sieht es jetzt nach dem Gegenteil aus. Anbar im Süden ist verloren, in Syrien festigt die Terrormiliz ihren Griff. Die politischen und ethnisch-religiösen Gruppierungen im Irak machen derzeit nicht den Eindruck, sich zu einer schlagkräftigen Macht gegen die Islamisten zusammenraufen zu können. "Wir stehen vor einem langsamen Krieg", sagt Pater Jens Petzold, aus Berlin stammender Leiter des Klosters Maryam al-Adhra in der Altstadt von Sulaimaniya. "Die Christen sollten keine Zeit damit verlieren, auf eine Rückkehr nach Hause zu warten."
Einige der unfreiwilligen Klosterbewohner haben sich inzwischen einen Brotverdienst aufgebaut: Einer arbeitet als Taxifahrer, andere als Mechaniker, Schneiderin, Elektroingenieur, Klempner. Eine junge Psychologin fand ein Engagement bei einer Hilfsorganisation. Aber obwohl die Vertriebenen ein überdurchschnittliches Ausbildungsniveau mitbringen - viele sind Akademiker -, hapert es mit der Verständigung: assyrische Christen sprechen eine Form des Aramäischen, die ortsansässigen Kur-den den Dialekt Sorani. Selbst Bemühungen um Gelegenheitsjobs in Sulaimaniya scheitern oft: "Wenn wir arbeiten wollen, heißt es, du kannst die Sprache nicht", sagt Rooney Louis, ein pharma-zeutischer Assistent.
Sprachkurse sollen die Neuen fit für den Arbeitsmarkt machen. Doch die Millionenstadt Sulaimaniya spürt wie ganz Irakisch-Kurdistan eine kräftige Wirtschaftskrise: In der Frage, wer die Ölvorräte um Erbil ausbeuten darf, gibt es mit der Zentralregierung in Bagdad weiter keinen Durchbruch. Dafür hat Bagdad die Mittelzuweisung an die autonome Kurdenregion faktisch auf ein Viertel gekürzt; Staatsangestellte, von denen es sehr viele gibt, erhalten ihre Löhne spät oder gar nicht.
Inzwischen wächst der Unmut gegen die zusätzliche Last der Exilierten, wenngleich Petzold keine direkten Aggressionen gegen Christen beobachtet. Etwa zwei Millionen Vertriebene leben in Kurdis-tan, einer Region mit gut acht Millionen Einwohnern; hinzu kommen rund eine Viertelmillion Syrer und neuerdings Sunniten aus Anbar. Die Armutsrate steigt. "Langsam werden die Stimmen lauter, die sagen: Jetzt reicht's", sagt Petzold.
"Die Christen verlieren ihr Vertrauen zum Irak", sagt der Pater. Allen im Kloster wird klar, dass ihr Aufenthalt länger dauern wird. Und wenn sie je nach Karakosch zurückkönnen, ist nicht ausgemacht, ob sie nicht nur ihre Häuser und was vom Eigentum übrig ist verkaufen und weiterziehen. Ein Prozess, so Petzold, den IS nicht ausgelöst hat, sondern nur beschleunigt.
Für manche ist der Gedanke unerträglich, die Heimat könne für immer verloren sein. "Unser Haus war schlicht, aber für uns das wichtigste auf der Welt", sagt Jambat, eine Englischlehrerin. Andere würden nur unter internationalem Schutz zurück nach Karakosch; das Vertrauen zu den früheren muslimischen Nachbarn ist zerbrochen. So oder so sieht Petzold keine schnelle Lösung. Er setzt, als Organisator wie als Seelsorger, auf Integration: Auch in Deutschland, sagt er, "haben Leute 40 Jahre lang gewartet, bis sie nach Hause konnten".
(KNA - pkskq-89-00094)
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