Regierung soll Massaker an Armeniern als Völkermord anerkennen
KNA 15.04.2015
Berlin (KNA) Der Zentralrat der Armenier in Deutschland drängt Bundesregierung und Bundestag, die Massaker an den Armeniern durch das Osmanische Reich vor hundert Jahren als Völkermord anzuerkennen. Die stellvertretende Sprecherin des Zentralrats, Madlen Vartian, warf der Regierung am Dienstag in Berlin vor, sie habe keine klare Haltung zur eigenen Verantwortung. Nach Ansicht des armenischstämmigen Bochumer Historikers Mihran Dabags unterscheidet sich die Haltung der Bundesregierung "wenig" von der des Deutschen Reichs 1915; die Reichsregierung habe ebenfalls um den Völkermord gewusst, diesen aber nicht klar benannt.
Auch der Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir forderte die Bundesregierung auf, den "Genozid an den Armeniern" im Jahr 1915 anzuerkennen und auch als solchen zu benennen. "Ich verstehe nicht, warum die Bundesregierung vor Präsident Erdogan kuscht", sagte der Politiker im Interview mit der "Stuttgarter Zeitung" (Mittwoch): "Die Wissenschaft ist sich weltweit einig, was damals stattfand. Die Völkerrechtler sprechen von einem Völkermord, die Türkei hingegen von einem Massaker und Vertreibungen", so Özdemir.
Auch die Bundesregierung spricht bislang offiziell von "Vertreibung und Massakern". Der Bundestag will am 24. April des 100. Jahrestages der Gräueltaten an den Armeniern gedenken. Ein Antrag von SPD und Union steht unter dem Titel "Erinnerung und Gedenken an die Vertreibung und Massaker an den Armeniern vor 100 Jahren". Vartian übte scharfe Kritik daran, dass der Begriff "Völkermord" auf Drängen der Fraktionsspitzen aus der ursprünglichen Fassung gestrichen worden sei und nur noch in der Begründung auftauche. Allerdings taucht der Terminus in den Anträgen von Linken und Grünen auf.
Die Kirchen wollen bereits am 23. April in einem ökumenischen Gottesdienst im Berliner Dom an den 100. Jahrestag der Morde an Armeniern, Syrern und Pontos-Griechen erinnern. Im Anschluss an den Gottesdienst will Bundespräsident Joachim Gauck sprechen. Schätzungen zufolge wurden zwischen 1915 und 1922 bis zu 1,5 Millionen Menschen im Osmanischen Reich ermordet. Auf die Mitschuld Deutschlands hat der Deutsche Bundestag bereits 2005 hingewiesen.
Papst Franziskus hatte am Wochenende ebenfalls öffentlich vom "ersten Genozid des 20. Jahrhunderts" gesprochen. Dies führte zu harschen Reaktionen der Regierung in Ankara, die sich gegen diese Bezeichnung wehrt und sie in den türkischen Schulbüchern nicht erwähnt.
Nach Dabags Worten geht es bei der Frage des Genozids aber um die Identität des armenischen Volkes. Die Armenier teilten ihre Geschichte in ein "vor und nach dem Verbrechen" ein. Sie bräuchten für dieses Verständnis einen "politisch gesicherten Raum". Vartian betonte das Ansehen Deutschlands in den Türkei. Eine Anerkennung des Genozids "hätte eine enorme Wirkung auf die Türkei", und würde die Zivilgesellschaft stärken.
Dabag sieht den Grund der deutschen Zurückhaltung einzig in der Sorge der Bundesregierung, "dass die politische Kommunikation zur Türkei gestört würde". Der Bundesvorsitzende der aramäischen Gemeinschaft in Deutschland, Daniyel Demir, sprach von einem weiteren Sieg des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan und einem "herben Rückschlag" für seine Gemeinschaft. Von den 600.000 Aramäern seien seinerzeit rund zwei Drittel ermordet oder vertrieben worden. Die Minderheit der armenischen Christen habe weiterhin Angst, ihren Glauben offen zu bekennen, und werde diskriminiert. Als Beispiel nannte er den Streit um das Kloster Mor Gabriel.
(KNA - pkolo-89-00128)
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