Das türkische Parlament wird bunter
KNA 08.04.2015
Von Bettina Dittenberger (KNA)
Istanbul (KNA) Bisher war Selina Özuzun Dogan eine wenig bekannte Anwältin in Istanbul. Doch jetzt ist sie über Nacht zu einer Politikerin geworden, deren Bild in den überregionalen Zeitungen des Landes abgedruckt wird und die Interviews in den Medien gibt. Denn Dogan kandidiert bei der Parlamentswahl am 7. Juni für die säkularistische Oppositionspartei CHP auf einem sicheren Istanbuler Listenplatz - und sie ist Armenierin.
Erst ganz kurz vor Ablauf der Frist zur Anmeldung der Kandidaten in dieser Woche war die CHP an Dogan herangetreten. "Sie suchten eine junge weibliche Kandidatin, und innerhalb der armenischen Gemeinde gab es nicht viel Auswahl", sagte sie der armenischen Wochenzeitung "Agos" nach Bekanntgabe ihrer Bewerbung. Ihr Listenplatz eins im Istanbuler Wahlkreis Nummer zwei ist eine sichere Bank für eine CHP-Kandidatin.
Dogan ist eine von mehreren Dutzend nicht-muslimischen Kandidaten für die Wahl in der zu 99 Prozent muslimischen Türkei. Im südostanatolischen Diyarbakir bewirbt sich die deutsch-türkische Jesidin Feleknas Uca für die Kurdenpartei HDP um ein Parlamentsmandat. Allein die HDP verzeichnet laut einer Zählung 50 Armenier und 15 syrisch-orthodoxe Christen auf ihren Kandidatenlisten.
Auch die islamisch-konservative Regierungspartei AKP von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan nahm einen armenischen Kandidaten auf: Markar Esayan, einen regierungsfreundlichen Zeitungskolumnisten. Insbesondere angesichts des anstehenden 100. Jahrestages der Armenier-Massaker von 1915 haben die armenischen Bewerbungen in der Türkei Aufsehen erregt.
Zumindest einige der Nichtmuslime haben wie Dogan und Uca sehr gute Aussichten auf einen Parlamentssitz. Die Zahl der Christen im Parlament von Ankara könnte damit nach Juni ansteigen. Bei der Wahl 2011 war der syrisch-orthodoxe Christ Erol Dora als erster Christ seit rund einem halben Jahrhundert als Volksvertreter ins Parlament gekommen.
Der Grund für die Öffnung der türkischen Parteien für Nichtmuslime liegt in deren Attraktivität im Wahlkampf. Insbesondere die kurdische HDP versucht, sich mit der Aufstellung nicht-muslimischer Kandidaten sowie von Frauen als Reformkraft zu präsentieren. Für die HDP geht es am 7. Juni darum, die in der Türkei geltende Zehn-Prozent-Hürde für den Einzug ins Parlament zu überwinden. Laut Umfragen hat sie gute Chancen, das Ziel zu erreichen.
Für die kleine Minderheit der Nichtmuslime in dem 78-Millionen-Land Türkei könnten sich daraus neue Möglichkeiten ergeben, ihrer Stimme Gehör zu verschaffen. Bislang sind nur Armenier, Griechen und Juden offiziell als religiöse Minderheiten der Türkei anerkannt und dürfen somit etwa eigene Schulen betreiben. Die Armenierin Doga betonte im Gespräch mit "Agos", sie werde sich im Parlament für die Belange aller Benachteiligten einsetzen. "Man darf das nicht nur aus der Sicht der Armenier betrachten", sagte sie. "Es gibt viel zu tun."
Auch die in Celle geborene Jesidin Uca will sich für alle Minderheiten sowie für Frauenrechte stark machen. Die Kurdin bringt Erfahrung mit: Sie saß von 1999 bis 2009 für die Linke im Europaparlament und kümmert sich seit einiger Zeit in Südostanatolien intensiv um jesidische Flüchtlinge, die aus dem Irak und aus Syrien in die Türkei kommen.
(KNA - pkoks-89-00094)
Deutsch-türkische Jesidin kandidiert für Parlament in Ankara
Istanbul (KNA) Feleknas Uca (38), deutsch-türkische Jesidin, kandidiert für einen Parlamentssitz in der Türkei. Sie wurde von der Kurdenpartei HDP im südosttürkischen Diyarbakir als Bewerberin für die Parlamentswahl am 7. Juni aufgestellt, wie ein Parteisprecher am Mittwoch mitteilte. Die Kurdin Uca saß von 1999 bis 2009 für die Linke im Europaparlament. Seit einiger Zeit kümmert sie sich in Südostanatolien intensiv um jesidische Flüchtlinge, die aus dem Irak und aus Syrien in die Türkei kommen.
Die in Celle als Tochter kurdischer Eltern aus Südostanatolien geborene Uca ist eine von mehreren Dutzend nichtmuslimischen Kandidaten der türkischen Parteien für die Wahl im Juni. Die kurdische HDP hat Presseberichten zufolge die meisten Nichtmuslime aufgestellt.
Die Jesiden, Angehörige einer alten monotheistischen Religion im Nahen Osten, werden seit Jahrhunderten verfolgt und als "Teufelsanbeter" beschimpft. Die meisten Jesiden leben im Irak, wo sie zuletzt von der Dschihadisten-Miliz "Islamischer Staat" (IS) hart bedrängt werden. In der Türkei sind die Jesiden nicht offiziell als religiöse Minderheit anerkannt.
(KNA - pkoks-89-00035)
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