Türkei protestiert gegen Völkermord-Äußerung des Papstes
KNA 13.04.2015
Vatikanstadt/Ankara (KNA) Papst Franziskus hat die Verfolgung der Armenier während des Ersten Weltkriegs öffentlich als "ersten Genozid des 20. Jahrhunderts" bezeichnet. Die türkische Regierung reagierte scharf: Sie bestellte noch am Sonntag den Vatikanbotschafter in Ankara, Erzbischof Antonio Lucibello, ein und zog ihren eigenen Vertreter beim Heiligen Stuhl ab.
Außenminister Mevlüt Cavusoglu erklärte via Twitter, der Papst schüre "Hass". Die Erklärung des Papstes sei "weit von Geschichte und Recht entfernt" und nicht hinnehmbar. "Religiöse Ämter sind nicht der Ort, mit haltlosen Vorwürfen Feindschaft und Hass zu schüren." Die Türkei erkennt das Vorgehen gegen die Armenier bis heute nicht als Völkermord an und wehrt sich gegen die Verwendung des Begriffs.
In einer offiziellen Protestnote heißt es, Franziskus widerspreche den "Friedensbotschaften" seines Türkei-Besuches vom November. Staatssekretär Levent Murat Burhan sagte Nuntius Lucibello laut Medienberichten, die Äußerung des Papstes habe die Türkei tief enttäuscht; sie sei fern der historischen Tatsachen und einseitig. So habe der Papst nur vom Leid der Armenier gesprochen, nicht aber vom Schicksal der Muslime oder der Angehörigen anderer Religionen. Die jüngsten Ereignisse hätten zu einem Vertrauensverlust in den Beziehungen geführt und zeitigten "sicherlich" noch Folgen.
Bei einem Gottesdienst mit Katholiken des armenischen Ritus am Sonntag im Petersdom stellte er die Massaker und Todesmärsche im Osmanischen Reich, durch die nach Schätzungen bis zu 1,5 Millionen Armenier ums Leben kamen, in eine Reihe mit der NS-Judenvernichtung und mit der durch den sowjetischen Diktator Josef Stalin herbeigeführten Hungersnot in der Ukraine. Die Menschheit habe im 20. Jahrhundert "drei große, unerhörte Tragödien erlebt", sagte der Papst in seinem Grußwort. Die erste, die das armenische Volk getroffen habe, werde "allgemein als 'der erste Genozid des 20. Jahrhunderts' angesehen". Zu den armenischen Gästen des Gottesdienstes gehörten auch Staatspräsident Sersch Sargsjan sowie die Oberhäupter der armenisch-apostolischen und der armenisch-katholischen Kirche, die Patriarchen Karekin II. und Nerses Bedros XIX.
Franziskus zitierte seinen Vorgänger Johannes Paul II. (1978-2005), der 2001 in einer gemeinsamen Erklärung mit Karekin II. bekundete: "Die Ermordung von eineinhalb Millionen Christen ist das, was generell als der erste Völkermord des 20. Jahrhunderts bezeichnet wird." Weiter sagte Franziskus, die beiden anderen seien im Namen des Nationalsozialismus und des Stalinismus verübt worden. Er erinnerte auch an "Massenvernichtungen" in Kambodscha, Ruanda, Burundi und Bosnien.
Bereits kurz nach seinem Amtsantritt, im Juni 2013, hatte Franziskus die Vertreibung der Armenier in einem privaten Gespräch, das später publik wurde, als "ersten Genozid des 20. Jahrhunderts" bezeichnet. Auch damals legte die Türkei offiziell Protest ein; die Äußerung sei "absolut inakzeptabel". Schon als Erzbischof von Buenos Aires hatte der heutige Papst keinen Hehl daraus gemacht, dass er die Vertreibung als Völkermord betrachtet.
Vor kurzem hatte sich die türkische Regierung noch zuversichtlich gezeigt, einen Eklat mit dem Vatikan in der Frage vermeiden zu können. So meldete die Presse, die türkische Botschaft beim Heiligen Stuhl habe einen Gottesdienst des Papstes in Armenien zum 100. Jahrestag der Massaker verhindert.
Am 24. April jährt sich der Beginn der Armenier-Massaker im damaligen Osmanischen Reich 1915. Die Türkei wirft Armenien vor, den Jahrestag für eine Kampagne zur internationalen Anerkennung des Genozids nutzen zu wollen.
(KNA - pkolm-89-00073)
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