Minderheit der Rohingya ist von Wahlen in Myanmar ausgeschlossen
KNA 06.11.2015
Von Michael Lenz (KNA)
Rangun (KNA) "Rohingya sind keine eigene Ethnie." Ein westlicher Diplomat in Rangun spricht aus, was viele denken, aber nicht offen zu sagen wagen. Denn das würde einer Legitimierung der massiven Menschenrechtsverletzungen Myanmars an dieser Gruppe nahekommen. Während die Muslime in Rakhine, die sich Rohingya nennen, von ihrer tausendjährigen Geschichte samt eigenem Königreich sprechen, sind sie für die Birmaner lediglich "Bengali": illegale Einwanderer aus Bangladesch, dem ehemaligen Bengalen.
Arakan, das 1974 in Rakhine umbenannt wurde, war seit 1430 ein mächtiges buddhistisches Königreich. Es grenzte im Westen an das frühere, von muslimischen Sultanen beherrschte Bengalen - und östlich der 3.000 Meter hohen Arakan-Bergkette an das buddhistische Königreich Birma im Osten. Die Beziehungen Arakans zu Sultanen in Bengalen waren eng, der kulturelle Austausch so rege, dass die buddhistischen Könige auch islamische Titel trugen. "Damals waren Muslime sowohl als Bürger wie als Immigranten willkommen", erklärt U Nyunt Maung Shein, Präsident des Rates für islamische Angelegenheiten in Myanmar.
Ende des 18. Jahrhunderts wurde Arakan dann von Birma erobert. Doch schon kurze Zeit später, 1824, tauchte die Kolonialmacht Britannien auf und verleibte Arakan und Birma ihrem indischen Empire ein. In der Folge strömten Inder als Arbeiter aber auch Beamte und Soldaten in britischen Diensten nach Arakan und Birma ein. Zeitweise stellten die zum Großteil muslimischen Migranten die Bevölkerungsmehrheit in den indischen Metropolen Arakan und Rangun. "Aus dieser kolonialen Zeit rührt die Angst der buddhistischen Birmaner vor einer muslimischen Überfremdung", erläuterte Richard Cockett vor wenigen Tagen in Bangkok bei der Vorstellung seines Buches "Wie die Vergangenheit Myanmars seine Zukunft nach der Wahl formt".
Nach dem Zweiten Weltkrieg erbten die nun unabhängigen ehemaligen Kolonien Südostasiens von den Briten ein buntes Völkergemisch. Während die "neuen Eliten" in Malaysia und Singapur die Dominanz der jeweiligen Mehrheitsethnien durch ein maßgeschneidertes Wahlrecht sicherten, "wählten die "postkolonialen Militärregierungen von Myanmar eine andere Strategie", so Cockett, früher Südostasien-Korrespondent der Zeitung "The Economist". "Sie wollten die plurale Gesellschaft auflösen, indem sie nach 1962 Hunderttausende Chinesen und Inder aus dem Land jagten und ethnische Völker wie die Karen oder Kachin mit Militärgewalt birmanisieren wollten."
In mehreren Säuberungswellen wurden auch die arakanesischen Muslime zu Hunderttausenden über die Grenze nach Bangladesch vertrieben. Dort waren sie aber ebenfalls nicht willkommen - und wurden zurück in das heutige Rakhine geschickt. Dort gelten sie jetzt als illegale Einwanderer.
Als "Rohingya" bezeichnen sich die muslimischen Arakanesen erst seit den 1950er Jahren - als Reaktion auf die zunehmende Unterdrückung durch die dortigen Buddhisten. Die "Erfindung" als eigenes Volk war von der Hoffnung auf Anerkennung als "nationale Ethnie", wie es im birmanischen Staatsbürgerrecht heißt, geprägt. Als "hybrid" beschreibt der deutsche Myanmar-Experte und Theologe Hans-Bernd Zöllner in seiner Abhandlung "Die Rohingyas - Konstruktion, De-Konstruktion und Re-Konstruktion einer ethnisch- religiösen Identität" die "Erfindung der Ethnie Rohingya".
Anders aber als andere Gruppen mit "hybrider Identität" - wie etwa Palästinenser oder Kurden, "die seit Jahrzehnten um ihre Anerkennung als Nation kämpfen", so Zöllner, hätten die Rohingya aus sich heraus noch keine zivile Organisation bilden können. Daher sei die "Rohingya-Identität mehrheitlich fremdbestimmt"; und zwar sowohl in ihrer negativen Version - dem Ausschluss aus dem Staat Myanmar/dem Arakan - als auch in ihrer positiven Version: der Unterstützer aus dem In- und Ausland.
(KNA - pllkq-89-00079)
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