Nigeria hat Erfahrung bei der Bekämpfung von Terrorbewegungen
KNA 11.06.2015
Von Katrin Gänsler (KNA)
Kano (KNA) Durch die staubigen Straßen von Kanos altem Stadtzentrum drängeln sich Männer, die auf ihren Sackkarren Brennholz transportieren. Jungs in fleckigen T-Shirts ziehen mit Plastikschüsseln durch die Gegend. Immer wieder bleiben sie stehen, rezitieren aus dem Koran und hoffen, dass ihnen jemand etwas Geld, ein Stück Brot oder Reis in ihre Schüssel legt. Ein offener Abwasserkanal verbreitet Gestank. Infrastrukturmaßnahmen hat es in der dicht besiedelten Altstadt von Kano seit Jahrzehnten nicht gegeben.
Deshalb lässt sich bis heute problemlos rekonstruieren, was sich hier einst abgespielt hat. Vor 35 Jahren war das Viertel Hochburg der Maitatsine-Bewegung, einer radikal-islamischen Gruppierung, die von Beobachtern als Vorläufer der Terrormiliz Boko Haram angesehen wird. "Die Ideologie der Bewegungen ist gleich", sagt Hussaini Abdu, Landesdirektor der Hilfsorganisation Plan International und Islam-Experte für Nordnigeria. Maitatsine, gegründet von dem Kameruner Mohammed Marwa, ist längst zerschlagen. Doch auch heute erinnert sich in der Gegend noch jeder an die Anhänger und die blutigen Kämpfe.
So auch die 82-jährige Hadjia Sawu Aisha. Sie sitzt vor ihrem Elternhaus auf einer Holzbank und lächelt breit. Dann dreht sie den Kopf ein wenig nach links und winkt mit der rechten Hand in Richtung eines gelben, schmucklosen Baus. "Dort hatte er die Jungen untergebracht", sagt die alte Frau und meint damit Mohammed Marwa. Es waren meist junge Männer ohne Perspektiven, die aus armen Familien stammten.
Marwa, der sich selbst als Prophet bezeichnete, wurde ab den 70er Jahren für sie zu einer attraktiven Führungsperson. "Anfangs hat er niemanden beleidigt, sondern er schien ein guter Mensch zu sein", erinnert sich auch Abdulahi Ibrahim, der ebenfalls im Viertel aufwuchs. "Später machte er dann immer deutlicher, dass er der einzig gute Prediger im Islam sei."
Damit sind die Anfänge von Maitatsine ("Derjenige, der verdammt") und Boko Haram ("Westliche Bildung ist Sünde") durchaus vergleichbar. Auch der Gründer von Boko Haram, Mohammed Yusuf, scharrte in der Provinzhauptstadt Maiduguri junge Männer um sich und kündigte einen Kampf gegen korrupte politische Eliten und die Verwestlichung der Gesellschaft an. Religion mag dabei ein Aspekt gewesen sein; beide dürften ihren Anhängern aber vor allem auch eine Zukunft versprochen haben.
Bei beiden Gruppierungen wussten Polizei und Sicherheitskräfte außerdem, in welchen Vierteln sie lebten und wo sie predigten. Hadjia Sawu Aisha konnte das über Jahre beobachteten, wenn sie ihre Eltern besuchte. Man wunderte sich über den Mann, der so viele Jungen in seiner Schule unterbrachte, erinnert sie sich. Immer wieder gab es Auseinandersetzungen mit der Polizei; doch Marwa behielt seinen Einfluss, bis es im Dezember 1980 zu blutigen Auseinandersetzungen im Zuge der sogenannten Kano-Unruhen kam, die mehrere Tage lang anhielten und rund 4.000 Todesopfer forderten. Marwa selbst war darunter.
"Mein Vater war damals krank und konnte nicht laufen. Ich legte ihn über meine Schulter und habe ihn so aus dem Schussfeld getragen", berichtet Hadjia Sawu Aisha. Sie rutscht unruhig auf ihrer Holzbank hin und her. Auch Abdulahi Ibrahim geht es ähnlich. "Ich war damals noch ein Jugendlicher. Als das Militär kam, sind wir alle weggelaufen. Wir hatten Angst, dass sie uns für Terroristen halten und auf uns schießen." Da hatte die Armee schon das ganze Viertel umstellt. "Trotzdem waren wir froh, dass die Soldaten kamen."
Maitatsine war damit noch nicht endgültig besiegt. Bis 1985 flammte die Bewegung in verschiedenen Städten des Nordens mehrfach wieder auf. Zur Auflösung wurde sie erst gezwungen, als Muhammadu Buhari - Nigerias jüngst vereidigter Präsident - 1984 und 1985 schon einmal an der Macht war. Anders als bei Boko Haram waren die Angriffe der Gruppe geografisch begrenzt und überschaubar. "Boko Haram agiert im Zeitalter der Informationstechnologie und ist sehr mobil", sagt der Experte Hussaini Abdu. Aus seiner Sicht könnte Buhari dennoch von dem Wissen aus der Vergangenheit profitieren. "Er hat Erfahrungen gesammelt und weiß, wie er mit Terrorbewegungen umzugehen hat."
(KNA - pkqll-89-00047)
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