Präventionskonzepte versuchen gegen Extremismus vorzugehen
KNA 04.08.2015
Islamismus goes Pop
Präventionskonzepte versuchen gegen Extremismus vorzugehen
Von Samuel Dekempe (KNA)
Bonn (KNA) Plötzlich lässt sich der 17-jährige Sohn einen Bart wachsen, bezieht sich auf eine strenge Auslegung des Koran, fordert seine Schwester auf, sich voll zu verschleiern und spricht bei seinen Mitschüler von Ungläubigen. Ist das bereits eine Radikalisierung oder einfach die Suche nach Identität? Eltern haben es oft schwer zu unterscheiden.
Nordrhein-Westfalen hat als erstes Bundesland eine Broschüre dazu herausgebracht. Das Heft "Extremistischer Salafismus als Jugendkultur - Sprache, Symbole und Style" will Bezugspersonen über den salafistischen Kodex, szenetypische Kleidung und Musik aufklären. So sollen Eltern, Lehrer und Sozialarbeiter islamistisches Gedankengut frühzeitig erkennen, um eingreifen zu können.
Vor allem das Internet hilft der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS), Propaganda zu betreiben. Dagegen möchte der nordrhein-westfälische Innenminister Ralf Jäger mit der Broschüre vorgehen. Denn die Merkmale einer eigenen Jugendkultur bieten "grundsätzlich die Chance, Verhaltens- und Wesensänderungen frühzeitig zu erkennen und gegenzusteuern", schreibt Jäger im Vorwort des Hefts.
Ein Beispiel für die islamistische Jugendkultur ist der Rapper Denis Cuspert, der unter dem Künstlernamen Deso Dogg auftritt. Mit seiner Musik feierte er kleine Erfolge, veröffentliche Platten über Musiklabels und machte seinen tätowierten Oberkörper zum Markenzeichen. Anfang 2010 brach er mit der Rap-Szene und radikalisierte sich. Cuspert rief in Videos zum bewaff-neten Dschihad auf, wurde vom Verfassungsschutz gejagt und setzte sich 2012 ins Ausland ab. Heute gilt er als eine der Hauptpersonen des Al Hayat Media Centers, der Medienorganisation des IS. Die Organisation veröffentliche unter anderem das Enthauptungsvideo des US-Journalisten James Foley. Kurz: Cuspert gehört zu den Größen des IS und weiß, wie man Jugendliche begeistern kann.
Terroristen holen junge Menschen dort ab, wo sie stehen. Der IS greift in seinen Videos gezielt Elemente aus Filmen und Computerspielen heraus, so der Islamwissenschaftler Rüdiger Lohlker. Gleichzeitig werde Jugendlichen in Krisensituationen eine klare Lösung angeboten: "Es gibt einen deutlich definierten Feind und eine deutlich definierte Wir-Gruppe, die als erfolgreich wahrgenommen wird." In den vornehmlich in Syrien und im Irak produzierten Videos wird auch der Bundesrepublik als "Land der Ungläubigen" gedroht. In Deutschland laufen derzeit rund 500 Strafverfahren gegen 800 Personen wegen Beteiligung an islamistischen Kampfhandlungen, Schleusungen und Propaganda. Seit 2012 sind laut Sicherheitsbehörden etwa 720 Salafisten zu Kampfhandlungen nach Syrien und in den Irak gereist.
Die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) fordert daher ein konsequenteres Einschreiten von Internet-Anbietern, auf deren Plattformen radikale Inhalte eingestellt werden. Das betrifft vor allem die Video-Plattform YouTube und den Kurznachrichtendienst Twitter. Dort verbreitet der IS eingängige Bilder und Sprüche, die schnell um die Welt gehen. "Der IS hat auch deswegen so breite Wirkung, weil jeder Anhänger das Material weiterschickt", sagt Wissenschaftler Lohlker, "die Jugendlichen basteln daraus eigene Videos oder bearbeiten die Bilder weiter."
Bei der Prävention von Extremismus gilt es dennoch sensibel zu bleiben. Viele Muslime fühlen sich angegriffen, wenn "Salafismus" grundsätzlich mit politischem Extremismus gleichgesetzt wird, heißt es in der NRW-Broschüre. Denn sie haben die Sorge, dass alleine eine religiöse Orientierung an der Frühphase des Islam als verfassungsfeindlich bezeichnet wird. Und Rechtsextremisten nutzen das Schlagwort "Salafismus", um den Islam in Deutschland in Verruf zu bringen.
Daher ist es wichtig, Vertreter des Islam in die Prävention einzubinden. Vor allem in der muslimischen Gefängnisseelsorge kann das funktionieren. Die Seelsorger können in Gesprächen erkennen, wer islamistische Gedanken vertritt oder bereits Kontakt zur radikalen Szene aufgenommen hat. Allerdings: Radikale Salafisten haben bereits versucht, auch die Seelsorge in der Haft zu unterwandern.
(KNA - pksko-89-00093)
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