Das südostasiatische Myanmar hat eine neue Regierung gewählt
KNA 09.11.2015
Von Michael Lenz (KNA)
Naypyidaw (KNA) Der historische Wahltag in Myanmar ist friedlich und entspannt verlaufen. Jetzt beginnt die Auszählung der blauen Fingerabdrücke. Denn in Myanmar taucht man für die Stimmabgabe den kleinen linken Finger in blaue Farbe und wählt damit die bevorzugte Partei. An einem Sieg von Oppositionsführerin Aung San Suu Kyi zweifelt in dem südostasiatischen Land kaum jemand.
Der Muslim Ibrahim und der Hindu Gobal sind Freunde. Die beiden alten Männer haben im Schatten der Sule Pagode, vieler Moscheen, einer katholische Kirche und eines Hindutempels im Zentrum von Rangun in einem buddhistischen Gemeindezentrum ihre Stimmen abgegeben. Freudig recken Ibrahim und Gobal ihre blauen kleinen Finger hoch. "Wir haben beide die NLD gewählt", sagt Ibrahim strahlend. Von den von der extremistisch-buddhistischen Mönchsorganisation Ma Ba Tha zum "Schutz von Religion und Nation" geschürten Hass gegen Minderheitsreligionen ist hier nichts zu spüren.
Ähnlich gelöst wie in Rangun ist die Stimmung im Karen-Staat, wie Karin Bannach aus Hpa-an berichtet. "Die Leute sind ruhig und entspannt. Selbst in einem Wahllokal, in dem Soldaten und Zivilisten gemeinsam abstimmten, war die Atmosphäre locker", erzählt Bannach, die für die Friedrich-Naumann-Stiftung die Wahl in Hpa-an beobachtet. Schon vor Beginn der Wahl um 6.00 Uhr morgens hätten sich vor den Wahllokalen lange Schlangen gebildet. "Jeder ist einfach stolz darauf, wählen zu können."
"Der Wahltag ist ein Fest der Demokratie", findet der Vize-Präsident des EU-Parlaments, Alexander Graf Lambsdorff, der als Leiter der Wahlbeobachterdelegation der EU ein Wahllokal in einer Schule in Rangun inspiziert hat. Es ist 14.00 Uhr Ortszeit. Noch zwei Stunden lang können die Birmanen abstimmen. "Wir haben bisher von unseren Wahlbeobachtern im ganzen Land keine Berichte über Anzeichen eines systematischen Wahlbetrugs erhalten", sagt Lambsdorff.
Der Wahlbeobachter weist aber nachdrücklich darauf hin, dass die Stimmabgabe nur ein Teil des komplexen Wahlprozesses ist. "Wir werden sehen, ob die Stimmenauszählung als auch die Bekanntgabe der Ergebnisse in den Wahlkreisen fair und transparent sein werden", sagt Lambsdorff. Mit ersten Trends werde schon am Sonntagabend gerechnet, mit dem amtlichen Endergebnis aber frühestens in einer Woche.
Die Freude über die historische Wahl nach Jahrzehnten der Diktatur und den entspannt verlaufen Wahltag überdeckt, was Phil Robertson von Human Rights Watch (HRW) "strukturelle Probleme" der Wahl nennt. "Laut Verfassung kann Oppositionsführerin Aung San Suu Kyi nicht Präsidentin werden, dem Militär sind 25 Prozent der Parlamentssitze garantiert und die Wahlkommission ist nicht unabhängig. Da kann man nicht von einer freien Wahl sprechen", erklärt Robertson. Zudem sehe HRW "mit großer Sorge" den Ausschluss der muslimischen Rohingya von der Wahl sowie die Suspendierung der Wahl in den militärischen Konfliktregionen in Kachin und im Shan Staat.
An einem Wahlsieg der NLD zweifelt niemand. Die spannenden Fragen aber lauten: Wird es für die NLD reichen, jene 67 Prozent der Sitze zu gewinnen, die sie angesichts des 25-Prozent-Blocks der Armee für eine Regierungsmehrheit braucht? Wird ein NLD-Sieg akzeptiert? Werden beide Seiten - Aung San Suu Kyi als auch die USDP - nach der Wahl in der Lage sein, politische Brandstifter in ihren Reihen unter Kontrolle zu halten? Jedem in Myanmar ist bewusst, dass gewaltsame Reaktionen auf das Wahlergebnis nicht auszuschließen sind und ein Eingreifen des Militärs provozieren könnten.
Cho Cho ist Bauarbeiter in Rangun. Auch er hat gewählt, auch er zeigt stolz den blauen Finger. Cho Chao fasst wohl die Stimmung aller Wähler, gleich welcher Parteizugehörigkeit, präzise zusammen, wenn er sagt: "Wir haben unseren Part getan."
(KNA - pllks-89-00041)
Auf unserer Hauptseite finden Sie weitere Informationen zu den Themen interreligiöser Dialog und christlich islamischer Dialog.