EU-Parlament debattiert über Christenverfolgung weltweit
KNA 28.04.2015
Von Alexander Brüggemann und Christoph Arens (KNA)
Bonn (KNA) Was soll man sagen: "endlich"? "Die tun was"? Das Europaparlament in Straßburg hat sich durchgerungen, am Mittwoch über die weltweite Verfolgung von Christen zu debattieren. Ein entsprechender Resolutionsentwurf, der am Donnerstag verabschiedet werden soll, trägt den Titel: "Verfolgung von Christen auf der ganzen Welt anlässlich der Ermordung von Studenten in Kenia durch die islamische Terrorgruppe Al-Shabaab".
Schon die Tatsache der Debatte an sich will als Zeichen der Solidarität gegen Unterdrückung verstanden werden. Umso bemerkenswerter aber ist, dass sich Sozialisten und Grüne im Vorfeld gegen die klare Benennung von "Christen" als Verfolgte und "islamische Terrorgruppe" als Verfolger im Titel aussprachen.
Und warum gerade Kenia? Werden nicht seit mehr als vier Jahren im Irak, in Syrien und anderen Ländern des Nahen Ostens ganze Regionen von Christen entvölkert. Dort steht nicht weniger als die seit 2.000 Jahren dauernde christliche Präsenz auf dem Spiel. In Kenia kamen beim seit Jahren schwersten Attentat vor Ostern mindestens 170 Menschen ums Leben; rund 80 wurden verletzt. Milizen der islamistischen Al-Shabaab schossen gezielt auf christliche Studenten. In Nigeria sterben täglich Menschen durch die Hand der Terrorgruppe Boko Haram.
Aber wie kategorisiert man Verfolgung, wie quantifiziert und vergleicht man sie? Die Datenerhebung ist ebenso schwierig wie die Bewertung. Vielleicht deshalb gibt es kaum weltweite "Rankings" zu der Frage. Im "Weltverfolgungsindex" der den Freikirchen nahestehende Hilfsorganisation "Open Doors" jedenfalls sind die Farbmarkierungen eindeutig: Vor allem in Nordafrika und im Mittleren Osten, aber auch im südlichen Asien färben sich die Länder, in denen Christen verfolgt werden, tief rot.
Seit 1993 legt "Open Doors" eine Rangliste von 50 Ländern mit der schlimmsten Christenverfolgung vor. Die Organisation schätzt die Zahl der Christen, die weltweit aufgrund ihres Glaubens verfolgt werden, auf mehr als rund 100 Millionen. Nach ihrer Einschätzung hat weltweit die Schwere der Verfolgung zugenommen - was aber nicht zuerst die Folge massiverer Gewalt sei, sondern vor allem an verstärktem kulturellen Druck und gesellschaftlicher Benachteiligung liege. Sozialer Druck könne eine viel wirksamere Form der Verfolgung sein als Gewalt.
Als Beispiel verweist "Open Doors" auf Nordnigeria: Dort versuche Boko Haram einerseits, durch Bombenanschläge und die Ermordung von Geistlichen die Kirche regelrecht zu zerschmettern. Doch für die meisten Christen drohe "die größte Gefahr von der seit den 1980er Jahren langsam und stetig voranschreitenden Islamisierung", die alle Gesellschaftsbereiche durchdringe. "Plötzlich sind Christen Bürger zweiter Klasse."
Zum 13. Mal in Folge steht 2015 Nordkorea auf Platz eins des Verfolgungsindex. Von geschätzten 200.000 bis 400.000 Untergrundchristen befänden sich bis zu 70.000 als "Feinde des Regimes" in den berüchtigten Arbeitslagern, heißt es. Nach Nordkorea finden sich in der Liste der zehn am stärksten betroffenen Länder Somalia, Irak, Syrien, Afghanistan, Sudan, Iran, Pakistan, Eritrea und Nigeria.
Acht der ersten zehn Länder sind muslimisch geprägt. Zudem gilt in 18 der 20 am höchsten eingestuften Länder "islamischer Extremismus" als eine Haupttriebkraft der Verfolgung. Die Türkei ist nach drei Jahren auf den Index zurückgekehrt - wegen eines wachsenden islamischen Nationalismus, der durch Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan und seine Partei AKP gefördert werde.
Die Rangliste von "Open Doors" ist nicht unumstritten: Menschenrechtsexperten kritisieren unter anderem, dass Christen pauschal die Opfer- und vor allem Muslimen die Täterrolle zugeschrieben werde. Zudem würden sehr unterschiedliche Tatbestände wie rechtliche Diskriminierung, Benachteiligung im Alltag oder terroristische Gewalt pauschal unter dem Begriff Verfolgung zusammengefasst. Die Wirklichkeit sei vielfältiger.
Die Vielfalt der Realitäten weltweit ist unbestritten. Dazu gehört auch, dass in Syrien und Nigeria womöglich gerade Christen sterben, während in Straßburg abgeordnete Christen am Wortlaut einer Resolution feilen.
(KNA - pkoms-89-00081)
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