Irakische Christen auf der Flucht in Jordanien
KNA 31.07.2015
"Wir glauben keinem Muslim mehr"
Irakische Christen auf der Flucht in Jordanien
Von Georg Pulling
Amman (KNA) Die Luft ist stickig im Pfarrsaal der St. Teresa-Kirche in der jordanischen Großstadt Zarqa. In dem Saal reiht sich ein Holzverschlag an den nächsten. Rund 50 christliche Flüchtlinge aus dem Irak haben hier Unterschlupf gefunden, leben auf engstem Raum und ohne Privatsphäre. In der Mitte des Saales stehen einige Tische und Stühle. Auch die einzige Sanitäranlage müssen die 50 Menschen teilen. "Das reicht gerade für zweimal duschen pro Woche", klagt eine Frau im mittleren Alter.
"Wir sind nervlich am Ende", erzählt der Arzt Bassam Hazim Abada. Er bewohnt mit seiner Frau Anwar und den beiden Kindern einen der winzigen Bretterverschläge. Bassam stammt ursprünglich aus dem nordirakischen Mossul, wie die meisten hier. Schon seit dem Einmarsch der USA und ihrer Verbündeten 2003 sei das Leben in Mossul für die Christen unerträglich geworden. Entführungen und Morde wurden alltäglich; seit 2005 hätten auch christliche Frauen ohne Kopftuch und Schleier nicht mehr aus dem Haus gehen können.
Jede Familie hier im Pfarrsaal von St. Teresa hat zumindest einen Angehörigen verloren: Neffen, Cousins, Brüder ... Sie alle wurden ermordet, meist auf offener Straße; einfach weil sie Christen waren. Wer waren die Täter? Islamistische Terroristen oder gewöhnliche Kriminelle? Bassam nennt sie "Banden", und es seien die gleichen Leute, "die nun auch beim IS dabei sind". "Das war kein Leben mehr in Mossul, deshalb sind wir schon vor Jahren nach Karakosch geflohen", berichtet Bassam. Die kleine christliche Stadt, rund 25 Kilometer von Mossul entfernt, nahm Tausen-de Flüchtlinge auf. Bassam fand Arbeit in einem Krankenhaus. "Wir haben alle behandelt, Christen und auch Muslime."
Im Juni 2014 eroberte der IS Mossul. Zu dem Zeitpunkt sei es in Karakosch noch sicher gewesen. Doch Anfang August griffen die Terroristen auch Karakosch an. Die Christen mussten in einer nächt-lichen Aktion Hals über Kopf fliehen. Bassam und seine Familie spülte die Flucht schließlich über die kurdische Hauptstadt Erbil nach Zarqa. Frau Nagham - ihren vollen Namen will sie nicht nennen - hielt bis zuletzt in Mossul aus. "Die IS-Leute haben uns aufgefordert, binnen 48 Stunden unser Haus zu verlassen, sonst würden sie unsere Kinder entführen", sagt sie mit brüchiger Stimme. Dann markierten die Milizen die Häuser der Christen mit dem arabischen Buchstaben "N" (für "Nazarener").
Am 18. Juli 2014 floh Nagham aus ihrem Haus - und musste dabei noch mitansehen, wie die muslimischen Nachbarn sofort zu plündern begannen. "Die waren froh, dass der IS kam, damit sie unser Hab und Gut rauben konnten", berichtet sie verbittert. Auf der Flucht lief sie dann auch noch einigen IS-Leuten in die Hände und wäre um ein Haar erschossen worden. Die christlichen Flüchtlinge sind meist sehr gebildet. Ärzte wie Bassam sind keine Ausnahme. Auch Nagham war an der Universität Mossul angestellt. Hier in Jordanien dürfen sie freilich als Flüchtlinge nicht arbeiten - abgesehen davon, dass es kaum Arbeit gibt. "Wir können nichts tun, nur warten", so Bassam. Er will eigentlich weiter zu seinem Bruder in Kanada, doch jetzt sitzt die Familie hier fest. Zumindest können seine zwei Kinder - mit Caritas-Unterstützung - die Schule besuchen.
Ob er jemals nach Kanada kommen wird? Der Arzt zuckt mit den Schultern. Jetzt muss er erst mal eine dringende Augenoperation überstehen. Auch bei den Kosten für medizinische Behandlungen hilft die Caritas; sie versorgt rund 1.000 der 7.000 irakischen christlichen Flüchtlinge in Jordanien. Niemand im Pfarrsaal von St. Teresa glaubt, dass er je nach Karakosch oder Mossul zurückkehren wird. Zu viel Schreckliches haben sie erlebt. "Wir glauben keinem Muslim mehr", sagen Bassam und seine Frau - und sie sprechen für alle im Saal.
(KNA - pkrnl-89-00049)
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